Die Übung Rapid Pacific 2022 fand in Australien unter Beteiligung der Bundeswehr statt; hier - am letzten Tag der Übung Kakadu am 23. September - fliegt eine Formation mit einem deutschen Eurofighter sowie jeweils zwei Kampfjets vom Typ F-15 und F-16 der Luftstreitkräfte Singapurs. Im Vordergrund ist das Schiff HMAS Perth der Royal Australian Navy zu sehen. Foto: Bundeswehr

01.10.2022
Von Frank Schauka

„Das Zwei-Prozent-Ziel ist perspektivisch wichtiger als das Sondervermögen“

Das sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Henning Otte. Wie positionieren sich die Verteidigungsexperten der Bundestagsfraktionen zur Bundeswehr und zur künftigen sicherheitspolitischen Rolle, die Deutschland in Europa spielen kann und soll?

Zeitenwende, Zwei-Prozent-Ziel, Sondervermögen, Strategischer Kompass, Nationale Sicherheitsstrategie, Ukrainekrieg, Terrorbekämpfung in Afrika, Konflikte zwischen NATO-Partnern Griechenland und Türkei, Unwägbarkeiten im indopazifischen Raum…

Zeitenwende! Ja, selbstverständlich - aber wie schnell rotiert die Zeit? Halten wir das Tempo mit, ohne die Balance, ohne unsere Mitte zu verlieren? Wir haben die verteidigungspolitischen Sprecher der sechs Bundestagsfraktionen um die Beantwortung wichtiger Fragen, die die Bundeswehr und damit auch unser Leben in Frieden und Freiheit betreffen, gebeten. Fünf Antworten liegen uns vor, die wir hier vollständig dokumentieren:

Wolfgang Hellmich (SPD):

Sind Sie mit dem für die Bundeswehr seit dem 27. Februar 2022 Erreichten zufrieden? Warum? Oder: Warum nicht?
Vor fast einem Jahr haben die Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, der auch Zielvorgaben für die künftige Verteidigungspolitik formulierte. Dann kam mit dem 24. Februar Russlands Überfall auf die Ukraine und markierte eine tiefe Zäsur. Die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele für die Verteidigungspolitik sind deshalb aber nicht obsolet, sondern müssen ambitioniert verfolgt werden: Eine effizientere Verwaltung, bessere Ausrüstung, schnellere Beschaffungen, zielgerichtete Bekämpfung des Rechtsextremismus. Für die Verteidigungsministerin geht die Fragen mit Hochdruck an: Mängel an persönlicher Ausrüstung und Ausstattung, fehlendes Personal, schlechte digitale Infrastruktur, schleppende Vergabeverfahren etc.

Ist das Zwei-Prozent-Finanzierungsziel für die Bundeswehr auch ohne Sondervermögen dauerhaft erreichbar? Warum halten Sie die dauerhafte Einhaltung dieses Finanzierungsziels für notwendig? Oder: Warum halten Sie die Einhaltung dieses Finanzierungsziels nicht für notwendig?
Das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro ist hier ein erster, wichtiger Aufschlag. Auch die beschleunigten Verfahren in dem komplexen Bereich des Beschaffungswesens, die wir im Frühsommer angeschoben haben, werden Abhilfe schaffen. Machen wir uns aber nichts vor: Für eine Vollausstattung der Bundeswehr mit Waffen, Personal und Gerät wird ein stetiger Aufwuchs im Verteidigungshaushalt notwendig bleiben. D.h.: Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO ist eine wichtige Zielmarke, um die Bundeswehr mit allem auszustatten, was sie für die Landes- und Bündnisverteidigung braucht.

Teilen Sie die Auffassung von Bundesverteidigungsministerin Lambrecht, wenn sie fordert: „Wir müssen (…) an die deutschen Exportregeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen.“
Die Landes- und Bündnisverteidigung beinhaltet eine neue Begründung und Notwendigkeit der „Wehrhaften Demokratie“ in neuer Zeit. Diese Veränderungen können nur zusammen mit unseren Partnern und Partnerinnen in den Institutionen der EU erfolgreich werden. In ihrer Grundsatzrede am 12. September 2022 hat Verteidigungsministerin Lambrecht u.a. postuliert, man den europäischen Partnerstaaten, mit denen wir zusammen militärische Fähigkeiten entwickelt haben, den Export nicht verweigern. Sie hat dafür unsere volle Unterstützung. Wir erwarten aus dem Hause von Wirtschaftsminister Habeck die Vorlage eines Rüstungsexportkontrollgesetzes.

Stimmen Sie mit der Nationalen Sicherheitsstrategie, so wie Verteidigungsministerin Lambrecht sie in ihrer Grundsatzrede vor der DGAP dargelegt hat, überein? In welchen Punkten stimmen Sie nicht überein? In welchen Punkten greift die von Ministerin Lambrecht skizziere Nationale Sicherheitsstrategie aus Ihrer Sicht zu kurz? Wie lauten Ihre (ergänzenden) Vorstellungen dazu?
Die Bundeswehr werden wir auch mit dem aktuellen Haushalt 2023 in die Lage versetzen, weiter die nötige Ausrüstung für ihre sicherheitspolitischen Aufgaben in Deutschland und der NATO zu erhalten und auszubauen. Dafür haben wir in den Haushalt 2023 50,1 Milliarden Euro eingestellt und zudem das Sondervermögen für Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, mehr als 8 Milliarden Euro davon können bald verausgabt werden. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO werden wir mit diesem Haushalt noch nicht erreichen, aber das Ziel steht."

 

Henning Otte (CDU/CSU):

Sind Sie mit dem für die Bundeswehr seit dem 27. Februar 2022 Erreichten zufrieden? Warum? Oder: Warum nicht?
Nach der „Zeitenwende“-Rede und Beschluss des Sondervermögens ist nichts passiert. Bisher ist kein Cent des Sondervermögens investiert. Scholz Ankündigung, dauerhaft mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben, ist nicht im Einzelplan (EP) 14 abgebildet. Die reine Ankündigungs-Politik muss enden: Neben einer effizienteren und zügigeren Beschaffung braucht es eine klare Gesamtstrategie, die neben Europa auch die Sahel-Zone und den Indopazifik fest im Blick hat. Auf die Umsetzung der 100 Milliarden Euro bin ich gespannt.

Ist das Zwei-Prozent-Finanzierungsziel für die Bundeswehr auch ohne Sondervermögen dauerhaft erreichbar? Warum halten Sie die dauerhafte Einhaltung dieses Finanzierungsziels für notwendig? Oder: Warum halten Sie die Einhaltung dieses Finanzierungsziels nicht für notwendig?
Um die strategischen Ziele der Vollausstattung und Kaltstartfähigkeit erreichen zu können, ist das Zwei-Prozent-NATO-Ziel unabdingbar und perspektivisch wichtiger als das Sondervermögen. Eine Erweiterung der Fähigkeiten der Bundeswehr ist erforderlich, um die verschiedenen vereinbaren NATO-Ziele der zu erreichen und die Landes- und Bündnisverteidigung zu garantieren. Weiterhin ist der Aufwuchs des Verteidigungshaushaltes geboten, da durch zusätzliche Ausrüstung auch die Ausgaben für Personal, Instanthaltung und Betrieb in den kommenden Jahren steigen.

Welche strategischen außen- und verteidigungspolitischen Ziele muss Deutschland – vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs sowie der zu befürchtenden Eskalation im indopazifischen Raum – prioritär verfolgen?
Die Bundeswehr muss vollausgestattet und kaltstartfähig sein, um die Landes- und Bündnisverteidigung dauerhaft gewährleisten zu können. Abhängigkeitsverhältnisse bei der Versorgung mit Rohstoffen und Schlüsseltechnologien müssen abgebaut werden. Deutschland hat im Übrigen ein Interesse an offenen Handelswegen.

Welche im Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und FDP beschriebenen Ziele müssen neu formuliert werden? Wie sollten diese neuen Ziele lauten?
Der Angriff auf die europäische Friedensordnung macht eine sicherheitspolitische Kehrtwende der Ampel unabdingbar. Das Zwei-Prozent-NATO-Ziel muss im EP 14 dauerhaft abgebildet werden, eine Täuschung über ein schwammiges, ressortübergreifendes Drei-Prozent-Ziel muss der Vergangenheit angehören.

Wie stehen Sie zu dem Satz aus dem Koalitionsvertrag: „Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive und wollen eine führende Rolle bei der Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen und Nichtverbreitungsregimes einnehmen ...“
Insbesondere die atomare Abrüstung und Eingrenzung muss immer das Ziel sein. Klar ist: Die atomare Teilhabe ist für die Sicherheit Deutschlands und Europa unerlässlich. Die Koalition darf mit einem Beobachterstatus im AVV diese Position nicht schwächen.

Teilen Sie die Auffassung von Bundesverteidigungsministerin Lambrecht, wenn sie fordert: „Wir müssen (…) an die deutschen Exportregeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen.“
Harmonisierte europäische Rüstungsexportregeln sind erstrebenswert. Dazu müssen nationale Alleingänge wie eine weitere Verschärfung oder ein Verbandsklagerecht unterlassen werden. „German-free“ darf es nicht geben. Klare, verlässliche und transparente Regeln schaffen Vertrauen bei Partnern sowie Planbarkeit für die Industrie in Deutschland.

Stimmen Sie mit der Nationalen Sicherheitsstrategie, so wie Verteidigungsministerin Lambrecht sie in ihrer Grundsatzrede vor der DGAP dargelegt hat, überein? In welchen Punkten stimmen Sie nicht überein? In welchen Punkten greift die von Ministerin Lambrecht skizziere Nationale Sicherheitsstrategie aus Ihrer Sicht zu kurz? Wie lauten Ihre (ergänzenden) Vorstellungen dazu?
Ein Führungsanspruch erschöpft sich nicht in wohlfeilen Worten. Es bedarf einer am deutschen Sicherheitsinteresse ausgerichteten und fest im NATO-Bündnis verankerten Strategie. Dazu müssen wir aus dem Silo-Denken der Ministerien ausbrechen. Wir brauchen lagebedingt eine stärker koordinierte Verteidigungs- und Außenpolitik.

Alexander Müller (FDP):

Sind Sie mit dem für die Bundeswehr seit dem 27. Februar 2022 Erreichten zufrieden? Warum? Oder: Warum nicht?
Die Ampel-Koalition hat sich im Koalitionsvertrag auf eine kritische Bestandsaufnahme von Personal, Material und Finanzen verständigt, um die Bundeswehr nach zu langer Vernachlässigung durch Vorgängerregierungen wieder für die Landes- und Bündnisverteidigung aufzustellen. Der Angriffskrieg Russlands hat diese Notwendigkeit bestätigt. Mit der Erhöhung des Handgeldes für Inspekteure, der Ausrichtung auf marktverfügbare Lösungen, der Einführung der Beschaffungsstrategie im Geschäftsbereich BMVg und dem BwBBG setzen wir gezielt Reformen im Bereich der Beschaffung um. Unser Ziel ist es, dass Ausrüstung und Gerät in ausreichender Anzahl bei der Truppe nutzbar sind. Mit dem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro antwortet der Bundesfinanzminister auf die chronische Unterfinanzierung der Streitkräfte und damit auf den zweiten Aspekt der Bestandsaufnahme. Die große Herausforderung ist das Thema Personal. Hier sind Reformen dringend nötig, bei der Attraktivität des Dienstes, bei Personalwerbung und Prozessen der Personalgewinnung und beim Laufbahnrecht. Insofern sind wir auf einem guten Weg; Zufriedenheit im Sinne der Erhaltung des Status Quo ist allerdings noch lange nicht angebracht, denn wir haben noch viel zu tun. Diese Bundesregierung wird jedoch mehr für unsere äußere Sicherheit investieren, als einige der Vorgängerregierungen zusammen.

Ist das Zwei-Prozent-Finanzierungsziel für die Bundeswehr auch ohne Sondervermögen dauerhaft erreichbar? Warum halten Sie die dauerhafte Einhaltung dieses Finanzierungsziels für notwendig? Oder: Warum halten Sie die Einhaltung dieses Finanzierungsziels nicht für notwendig?
Nach Verbrauch des SV wird es zur Erhaltung des Bestandes notwendig sein, die der NATO versprochenen zwei Prozent des BIP aus dem Einzelplan 14 zu erwirtschaften. Wenn wir unsere Ziele im Bereich Personal, Gerät und Ausrüstung erreichen wollen, müssen wir mehr und effizienter in unsere Streitkräfte investieren als bisher.

Welche Ziele des Koalitionsvertrages wurden bereits umgesetzt?
Wie oben beschrieben haben wir mit der kritischen Bestandsaufnahme begonnen. Diese ist noch nicht abgeschlossen. Der Prozess ist vielmehr iterativ zu verstehen.

Welche im Koalitionsvertrag formulierten Ziele müssen – im Lichte der „Zeitenwende“ betrachtet – neu formuliert werden? Wie sollten diese neuen Ziele lauten?
Zwei Punkte stechen heraus: Zum einen werden wir konkret zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben müssen. Zum anderen muss ein Rüstungsexportkontrollgesetz den neuen Gegebenheiten angepasst sein. Konkret bedeutet das, ein Gesetz darf keinesfalls gemeinsame Beschaffungsprojekte gefährden oder die Belieferung von Staaten unterbinden, die wir unterstützen wollen.

Wie stehen Sie – im Lichte der „Zeitenwende“ betrachtet – zu dem Satz: „Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive und wollen eine führende Rolle bei der Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen und Nichtverbreitungsregimes einnehmen ...“
Abrüstung steht in keinem Widerspruch zur Zeitenwende. Ich stehe selbstverständlich hinter dem Atomwaffensperrvertrag oder der verstärkten Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen. Deutschland sollte hier weiterhin eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir müssen Abrüstung allerdings immer als Weltgemeinschaft anstreben, damit Abrüstung keine Gefahr für die eigene Sicherheit darstellt. Daher werden wir dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beitreten. Dieser würde durch das faktische Verbot der nuklearen Teilhabe unser Bündnis schwächen, ohne Abrüstungsschritte seitens China und Russland.

Teilen Sie die Auffassung von Bundesverteidigungsministerin Lambrecht, wenn sie fordert: „Wir müssen (…) an die deutschen Exportregeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen.“
Ganz klar, ja. Ich habe es oben ausgeführt.

Stimmen Sie mit der Nationalen Sicherheitsstrategie, so wie Verteidigungsministerin Lambrecht sie in ihrer Grundsatzrede vor der DGAP dargelegt hat, überein? In welchen Punkten stimmen Sie nicht überein? In welchen Punkten greift die von Ministerin Lambrecht skizziere Nationale Sicherheitsstrategie aus Ihrer Sicht zu kurz? Wie lauten Ihre (ergänzenden) Vorstellungen dazu?
Die Analyse der BMin ist richtig. Aufgrund unserer Größe, Lage und wirtschaftlichen Kraft muss Deutschland eine Führungsrolle in der Sicherheitspolitik übernehmen. Das wird einiges an Investment kosten, finanzieller und kultureller Art. Ich möchte ergänzen, dass wir eine wirklich gewichtige Rolle nur als Gesamteuropa erreichen werden. Dafür sind Reformen bei der europäischen Rüstungskooperation dringend notwendig, sowie bei dem Einstimmigkeitsprinzip der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Rüdiger Lucassen (AfD):

Sind Sie mit dem für die Bundeswehr seit dem 27. Februar 2022 Erreichten zufrieden? Warum? Oder: Warum nicht?
Die Stärke einer Armee setzt sich zusammen aus ihrer materiellen, personellen und ideellen Einsatzbereitschaft. Ausreichende finanzielle Mittel für das Schließen von Fähigkeitslücken, persönliche Ausrüstung oder Munitionsbevorratung sind wichtig – auch wenn das Geld eigentlich in den Verteidigungshaushalt gehört. Aber dadurch sind andere Probleme nicht gelöst: Um den dramatischen Nachwuchsmangel der Bundeswehr zu lösen, brauchen wir etwa die Reaktivierung der Wehrpflicht – in welcher Form auch immer. Und wir müssen die Zivilisierung der Streitkräfte rückgängig machen. Im Zentrum der Ausbildung müssen wieder die Befähigung und der Wille zum Kampf stehen. Moral entscheidet Kriege. Dazu zähle ich auch einen gesunden Patriotismus, den die politische Führung der Bundeswehr bis heute bekämpft, etwa durch den MAD. Materielle, personelle und ideelle Einsatzbereitschaft: Nur so wird die Bundeswehr wieder für ihre grundgesetzliche Auftragserfüllung befähigt. Geld allein macht die Bundeswehr nicht wieder einsatzbereit.

Ist das Zwei-Prozent-Finanzierungsziel für die Bundeswehr auch ohne Sondervermögen dauerhaft erreichbar? Warum halten Sie die dauerhafte Einhaltung dieses Finanzierungsziels für notwendig? Oder: Warum halten Sie die Einhaltung dieses Finanzierungsziels nicht für notwendig?
Die Mittel müssen in Verteidigungshaushalt und mittelfristiger Finanzplanung verankert werden. Denn sonst fehlen nach Abfluss des Sondervermögens in fünf oder sechs Jahren 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr. In der Folge können rapide steigenden Betriebskosten sonst nicht mehr gedeckt, geschweige denn Investitionen getätigt werden.

Welche strategischen außen- und verteidigungspolitischen Ziele muss Deutschland – vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs sowie der zu befürchtenden Eskalation im indopazifischen Raum – prioritär verfolgen?
Eine effektive Landes- und Bündnisverteidigung. Alle anderen Aufträge sind nachrangig.

Welche im Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und FDP beschriebenen Ziele müssen neu formuliert werden? Wie sollten diese neuen Ziele lauten?
Ich vermisse im Koalitionsvertrag den deutlichen Bezug zum Grundgesetz, Artikel 87a: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Denn nur das ist der eigentliche Auftrag der Bundeswehr und daraus müssen sich Fähigkeitsprofil, Beschaffung usw. ableiten.

Wie stehen Sie zu dem Satz aus dem Koalitionsvertrag: „Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive und wollen eine führende Rolle bei der Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen und Nichtverbreitungsregimes einnehmen ...“
Rüstungskontrolle ist ein wichtiges Instrument internationaler Konfliktprävention. Eine weitere einseitige Abrüstung Deutschlands lehne ich ab.

Teilen Sie die Auffassung von Bundesverteidigungsministerin Lambrecht, wenn sie fordert: „Wir müssen (…) an die deutschen Exportregeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen.“
Ohne Absatzmöglichkeiten, auch für den Export, lohnt sich Forschung und Entwicklung im Wehrbereich nicht. Die Lieferung in Kriegsgebiete sollte davon unabhängig weiter untersagt bleiben.

Stimmen Sie mit der Nationalen Sicherheitsstrategie, so wie Verteidigungsministerin Lambrecht sie in ihrer Grundsatzrede vor der DGAP dargelegt hat, überein? In welchen Punkten stimmen Sie nicht überein? In welchen Punkten greift die von Ministerin Lambrecht skizziere Nationale Sicherheitsstrategie aus Ihrer Sicht zu kurz? Wie lauten Ihre (ergänzenden) Vorstellungen dazu?
Die Landes- und Bündnisverteidigung ist weiterhin das Kerngeschäft der Bundeswehr. Nach den fatalen außenpolitischen Irrwegen, Stichwort: Afghanistan, scheint die Bundesregierung nun zur Besinnung zu kommen. Überhaupt überrascht mich die militärische Wortwahl, etwa wenn die Verteidigungsministerin von Investitionen in die „Kampfkraft“ unserer Streitkräfte spricht. Dafür wurde unsereins in den letzten Jahren politisch zerrissen. Insgesamt hat Frau Lambrecht wichtige Punkte angesprochen. Ich erwarte nun von ihr, dass sie Taten folgen lässt.

Ali Al-Dailami (Die Linke):

Sind Sie mit dem für die Bundeswehr seit dem 27. Februar 2022 Erreichten zufrieden? Warum? Oder: Warum nicht?
Die in Scholz' "Zeitenwende"-Rede angekündigte massive Hochrüstung der Bundeswehr lehne ich kategorisch ab. Der Kernauftrag der Bundeswehr ist die Landesverteidigung. Die Beschaffung von Kampfdrohnen, Kriegsschiffen oder atomwaffenfähigen Kampfjets trägt nicht zu dieser bei, sondern führt zur weiteren Militarisierung der deutschen Außenpolitik, die bereits jetzt zusehends aggressiver wird. Wenn der Verteidigungsetat künftig der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt ist, fehlen diese Ressourcen für zentrale Probleme wie sozialen Ausgleich oder die Bekämpfung des Klimawandels. Darüber hinaus werden strukturelle Probleme im Beschaffungswesen nicht angegangen; vielmehr wird durch das im Juli verabschiedete BwBBG die Beschaffung noch deutlich intransparenter.

Ist das Zwei-Prozent-Finanzierungsziel für die Bundeswehr auch ohne Sondervermögen dauerhaft erreichbar? Warum halten Sie die dauerhafte Einhaltung dieses Finanzierungsziels für notwendig? Oder: Warum halten Sie die Einhaltung dieses Finanzierungsziels nicht für notwendig?
Die Zwei-Prozent-Marke nach NATO-Kriterien sollte kein erstrebenswertes Ziel sein. Denn gemessen an dem aktuellen BIP wären dies mehr als 70 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt. Diese Ausgaben sind im Vergleich zu anderen Haushaltsposten völlig überzogen und unverhältnismäßig. In den vergangenen Jahren wurde der Verteidigungsetat bereits erheblich aufgestockt. So betrug der Haushalt im Jahr 2014 32 Milliarden Euro und ist seitdem auf über 50 Milliarden Euro angewachsen, was einem Zuwachs von 55 Prozent in sieben Jahren entspricht. Und nun sollen weitere 20 Milliarden Euro drauf gepackt werden. So ein aufgeblähtes Budget ist nicht zu rechtfertigen, insbesondere bei einem maroden Beschaffungswesen, in dem jedes Jahr Unsummen versickern.

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