Deutsche Fallschirmjäger und Soldaten der Partnernationen am Northgate des Kabuler Flughafens: Die Gefährdung nimmt zu. Foto: Bundeswehr

Deutsche Fallschirmjäger und Soldaten der Partnernationen am Northgate des Kabuler Flughafens: Die Gefährdung nimmt zu. Foto: Bundeswehr

25.08.2021
Yann Bombeke/dpa

Afghanistan: Biden hält an Abzugstermin fest – Wüstner warnt vor erhöhter Gefährdungslage

US-Präsident Joe Biden will am Abzugstermin 31. August festhalten – das erhöht nun auch den Druck auf die Bundeswehr, in der wenigen verbleibenden Zeit so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan zu holen. Im ZDF-Morgenmagazin warnte der Bundesvorsitzende vor einer erhöhten Bedrohungslage in diesen wohl letzten Tagen der Evakuierungsmission.

Oberstleutnant André Wüstner bezeichnete die Entscheidung Bidens, den Abzug bis Ende August abzuschließen, als erwartbar. „Natürlich wissen jetzt alle, dass die Gefährdung zunimmt, dass die Belastung zunimmt.“ Die Afghanen wüssten jetzt, dass das Zeitfenster sich schließe. „Das wird nochmal den Druck erhöhen in Richtung Flughafen.“ Der Bundesvorsitzende sagte, dass zudem alle Kräfte vor Ort in der Phase des Abzugs am verwundbarsten seien. Jetzt ginge es darum, so viele Menschen wie möglich noch auszufliegen, aber auch alle Soldatinnen und Soldaten wieder heil nach Hause zu bringen, so Wüstner. „Man kann nur hoffen, dass uns die Amerikaner auch in der letzten Phase dieses Einsatzes den Rücken freihalten werden für diesen Ausflug. Man muss klar sagen: Ohne die Amerikaner hätten wir keine Chance, was diese Evakuierung betrifft.“

Wüstner betonte: „Wichtig ist, dass Politik endlich mal wahrnimmt, dass ohne militärische Optionen, ohne das militärische Engagement der Amerikaner, deutsche und europäische Politik nur Beobachter großer, tragischer Ereignisse ist.“ Man müsse sich in der kommenden Bundesregierung Gedanken machen, wie man selbst eigene militärische Handlungsoptionen entwickelt. Dazu müsse das Militär aber auch entsprechend befähigt werden.

Dass nun nicht alle Menschen, hier vor allem die Ortskräfte, die für Deutschland gearbeitet haben, ausgeflogen werden können, mache viele Soldaten sehr betroffen, erklärte Wüstner. „Wir kennen sehr viele und wir werden jeden Tag angerufen, werden um Hilfe gebeten und wir wissen: Aktuell können wir nicht jedem helfen.“ Es seien schon viele Enttäuschungen produziert worden, denn man werde nicht alle Versprechen halten können.

„Man muss endlich Lehren ziehen aus diesem Fiasko“, mahnte der Verbandschef, „aus dieser Tatsache, dass mehr oder weniger nicht nur Deutschland, sondern Europa kaum handlungsfähig ist. Wüstner erinnerte an die Konflikte auf dem Balkan, wo sich schon erwiesen habe, dass Europa auch „im eigenen Hinterhof“ nicht eigenständig handlungsfähig war und die Unterstützung der USA benötigte. „Damals hieß es: So etwas darf uns nie wieder passieren. Heute stellen wir fest: Wir sind schlechter aufgestellt, national wie europäisch, obwohl die Risiken und Bedrohungen zugenommen haben.“ Aus diesem Grund müssten sich die Parteien, die in der kommenden Legislaturperiode Verantwortung übernehmen wollten, schon jetzt Gedanken machen. „Aktuell stellt Frau Merkel mit ihrer Regierung fest, dass sie nur Beobachter großer und tragischer Ereignisse ist. Das darf nicht die Zukunft für Deutschland sein.“

Nach dem Festhalten der US-Regierung am Abzugstermin 31. August könnte der Einsatz der Bundeswehr in Kabul bereits früher enden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur könnte der letzte Flug der Luftbrücke für deutsche Staatsbürger und gefährdete Ortskräfte bereits am Freitag organisiert werden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte dazu am Mittwoch, er könne Medienberichte dazu weder dementieren noch bestätigen. Am Vortag seien mit fünf Flügen insgesamt 983 Menschen aus Kabul ausgeflogen worden, seit Beginn der Luftbrücke 4654 Menschen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte erklärt, die Bundeswehr werde Menschen ausfliegen „solange es geht, so viele wie möglich“.

Rund um den Flughafen Kabul harren weiter Tausende Menschen aus, in der Hoffnung auf einen Evakuierungsflug ins Ausland. Aufgrund der weiter desaströsen Lage rund um die Eingänge zum Flughafen haben Länder begonnen, ihre zu Evakuierenden anderweitig in den Flughafen zu bringen. Zwei Personen, die auf einer US-Liste zur Evakuierung standen, sagten, sie seien zu einem Ort in der Stadt gerufen worden und von dort mit in einem gepanzerten Konvoi in den Flughafen gebracht worden.

Ein Taliban-Sprecher sagte auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass aufgrund des Andrangs am Flughafen sich dort keine Afghanen ohne geeignete Dokumente für eine Ausreise ansammeln dürfen.

In einem in der Nacht zu Mittwoch versandten Landsleutebrief der deutschen Botschaft in Kabul hieß es, Deutschland plane weiterhin Evakuierungsflüge mit der Bundeswehr und zudem mit anderen befreundeten Staaten Flüge von Kabul ins Ausland. Gleichzeitig prüfe man weitere konkrete Maßnahmen zur Ermöglichung der Ausreise.

Aus Diplomatenkreisen hieß es in den vergangenen Tagen, nach Einstellung der Evakuierungsflüge könnten die zu Evakuierenden möglicherweise auf dem Landweg in Drittstaaten ausreisen und von dort nach Europa geflogen werden. Beide Grenzübergänge nach Pakistan etwa sind aktuell geöffnet, allerdings brauchen Afghanen Visa für das Nachbarland.

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