17.09.2020
Von Jan Kuhlmann, Benno Schwinghammer und Monia Mersni, dpa

Diplomatie, nächster Versuch: UN und Berlin planen Libyen-Gipfel

Seit Jahren tobt in Libyen ein Bürgerkrieg. Alle internationalen Bemühungen um ein Ende scheiterten bisher. Jetzt will der Premier zurücktreten. Doch ein Spitzentreffen soll neue Impulse bringen.

New York/Tripolis. Die internationale Gemeinschaft verstärkt ihre Bemühungen um ein Ende des jahrelangen Bürgerkriegs in Libyen. Die Vereinten Nationen und Deutschland planen für den 5. Oktober ein virtuelles Treffen, an dem neben UN-Generalsekretär António Guterres eine Reihe von Außenministern und Vertreter der Konfliktparteien teilnehmen sollen. Die Lage in dem nordafrikanischen Land bleibt äußerst instabil. Der Chef der international anerkannten Regierung, Fajis al-Sarradsch, kündigte am Mittwochabend seinen Rücktritt an.

Alle internationalen Bemühungen, den Konflikt in Libyen beizulegen, sind bisher erfolglos geblieben. Deutschland war bereits im Januar Gastgeber eines Treffens mit Vertretern fast aller Staaten, die in Libyen Einfluss haben. Diese sagten damals zu, ein Waffenembargo einzuhalten und sich nicht in den Konflikt einzumischen.

Die UN haben seitdem jedoch mehrfach beklagt, dass weiter Waffen nach Libyen geliefert werden. Erst vor Kurzem verhinderte die Bundeswehr im Rahmen der EU-Operation Irini einen Verstoß gegen das Embargo.

In Libyen herrscht seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 Bürgerkriegschaos. Zahlreiche Milizen bekämpfen sich, rivalisierende Gruppen ringen um die Macht. Während im Westen in der Hauptstadt Tripolis die international anerkannte Regierung von Al-Sarradsch sitzt, herrscht im Osten Libyens eine Gegenregierung. Diese ist mit dem einflussreichen General Chalifa Haftar und dessen selbst ernannter Libyscher Nationalarmee (LNA) verbündet.

Befeuert wird der Konflikt von außen. Al-Sarradsch erhält Unterstützung von der Türkei, die eigene Truppen nach Libyen geschickt hat. Haftar wiederum findet Verbündete in Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Russland. Nach einem internen UN-Bericht kämpfen Hunderte Söldner der privaten russischen «Wagner Gruppe» auf der Seite des Generals in Libyen.

Der Konflikt eskalierte im vergangenen Jahr, als Haftar seinen Truppen eine Offensive auf Tripolis befahl. Von Osten her rückten sie bis nach Tripolis vor. Der militärische Eingriff der Türkei brachte jedoch eine Wende zu Gunsten der Anhänger der international anerkannten Regierung, die Haftars Truppen bis zur strategisch wichtigen Hafenstadt Sirte zurückdrängten. Im August erklärten sowohl Al-Sarradsch als auch die Regierung in Ost-Libyen eine Waffenruhe.

Auch politisch gab es vorsichtige Hoffnungszeichen. In Marokko und in der Schweiz kamen erstmals wieder Vertreter verschiedener libyscher Seiten zu Gesprächen zusammen, wo sie sich vorsichtig annäherten. Dabei herrschte prinzipiell Einigkeit, dass eine Einheitsregierung gebildet werden soll und am Ende einer 18 Monate langen Phase Präsidenschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden müssen.

Diplomatisch aktiv sind auch die Türkei und Russland, die bereits im Syrienkonflikt eng zusammenarbeiten und in Libyen zentrale Akteure sind. «Bei den letzten Gesprächen haben wir uns bezüglich einer Waffenruhe und eines politischen Prozesses etwas mehr angenähert», sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Mittwochabend.

Das neue Spitzentreffen ist im sogenannten Berlin-Format - angelehnt an die Konferenz in der deutschen Hauptstadt im Januar - geplant. Mit dem Gipfel im Frühjahr hatte Deutschland eine Vermittlerrolle in dem Konflikt eingenommen und einen kurzen Moment des Aufbruchs erzeugt.

Doch die Interessen der Konfliktparteien und auch der internationalen Akteure sind zu unterschiedlich. Häufig sind sich nicht einmal Verbündete einig. Innerhalb der international anerkannten Regierung kam es in den vergangenen Wochen zu Konflikten. Auch Proteste gegen die schlechten Lebensbedingungen und Korruption in Tripolis schwächten Al-Sarradschs Position. Der Regierungschef selbst ist militärisch schwach und auf die Unterstützung von Milizen angewiesen.

Al-Sarradsch erklärte, er hoffe, dass im Zuge der Libyen-Gespräche ein neuer Präsidialrat gebildet und ein Regierungschef beauftragt werde. «Ich erkläre allen meinen aufrichtigen Wunsch, meine Pflichten spätestens Ende Oktober zu übergeben», sagte er.

Manche Beobachter sehen in Al-Sarradschs Ankündigung nur ein Manöver. Ob bis Ende Oktober ein neuer Regierungschef gefunden wird, ist offen. Al-Sarradsch stehe wegen der Demonstrationen, aber auch von Seiten der mit ihm verbündeten Milizen und auswärtiger Akteure unter Druck, sagte der Libyen-Experte des European Council on Foreign Relations (ECFR), Tarek Megerisi. «Er versucht, sich etwas Raum zu verschaffen. Er behält nun die Karten selbst in der Hand.»

Dagegen sieht Megerisi Haftar derzeit zurückgedrängt. «Seine Rolle ist kleiner geworden, deswegen mag er die Waffenruhe nicht», sagte der Libyen-Experte. Militärisch bleibt der General aber weiter ein einflussreicher Akteur. «Er ist wie eine tickende Zeitbombe. Wenn sie nicht entschärft wird, kann sie jederzeit explodieren.»

Schon Anfang der Woche hatte auch die Regierung in Ost-Libyen nach Protesten ihren Rücktritt angeboten. Die wirtschaftliche Lage hat sich in dem Krisenland stark verschlechtert. Haftars Verbündete blockieren seit dem Frühjahr den Ölexport, von dem das Land abhängig ist. Damit wollten sie die Regierung in Tripolis unter Druck setzen.