28.09.2020
dpa

Kriegszustand nach schweren Kämpfen um Unruheregion Berg-Karabach

In der Konfliktregion Berg-Karabach gibt es nach neuen Gefechten viele Verletzte und auch Tote. Jetzt gilt sogar der Kriegszustand. Zahlreiche Länder rufen zur Deeskalation auf und wollen vermitteln.

Baku/Eriwan. Nach schweren Kämpfen mit zahlreichen Toten und Verletzten in der Konfliktregion Berg-Karabach gilt in den verfeindeten Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan der Kriegszustand. In Aserbaidschan trat das in der Nacht auf Montag (28. September) in Kraft, wie Staatschef Ilham Aliyev am Wochenende entschied. In der Ex-Sowjetrepublik soll es in einigen Landesteilen abends Ausgangssperren geben. In Armenien mobilisierte Regierungschef Nikol Paschinjan in Eriwan bereits am Sonntag die Bevölkerung und verhängte im ganzen Land den Kriegszustand. Zuvor hatte Aserbaidschan eine Militäroperation gegen Berg-Karabach begonnen und eroberte mehrere Dörfer.

Zwischen den verfeindeten Ländern kam es nach Angaben beider Seiten am frühen Sonntagmorgen zu den Gefechten. Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert sei beschossen worden, hieß es. Paschinjan wertete die Gefechte als Kriegserklärung gegen sein Volk.

Die von Armenien kontrollierte Region mit geschätzt 145 000 Einwohnern gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit Jahrzehnten.

In Berg-Karabach wurden nach offiziellen Angaben 16 Soldaten durch Beschuss getötet und mehr als 100 verletzt. Aserbaidschan teilte mit, dass es fünf Tote und Verletzte in den eigenen Reihen gebe. Armenien behauptete, dass 200 Soldaten auf der gegnerischen Seite getötet worden seien. Das bestätigte Baku jedoch nicht. Unter den Opfern sind nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz auch Zivilisten.

Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld für die Gefechte. Armenien behauptete am Sonntagabend, dass die Türkei Aserbaidschan unterstützt haben soll. Das Verteidigungsministerium in Eriwan habe Informationen dazu; dass etwa türkische Waffen zum Einsatz gekommen seien. Regierungschef Paschinjan betonte bei einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch, dass sich die Türkei sehr aggressiv verhalte. Ankara müsse abgehalten werden, sich in diesen Konflikt einzumischen. Eine Reaktion aus der Türkei gab es bislang nicht.

Die EU, Deutschland und auch Russland riefen die Konfliktparteien auf, die Kämpfe sofort einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) betonte, dass die OSZE-Minsk-Gruppe mit ihren drei Co-Vorsitzenden Frankreich, Russland und USA für Verhandlungen bereit stehe. Die OSZE ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Iran, der gute Beziehungen zu beiden Ländern hat, bot sich ebenfalls als Vermittler an.

Baku hatte in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kontrolle über das von christlichen Karabach-Armeniern bewohnte Gebiet verloren. Seit 1994 gilt in der Region eine Waffenruhe, die aber immer wieder gebrochen wurde. Zuletzt flammte der Konflikt 2016 stark auf - es starben mehr als 120 Menschen. Das völlig verarmte Armenien setzt auf Russland als Schutzmacht, das dort Tausende Soldaten und Waffen stationiert hat. Das öl- und gasreiche Aserbaidschan hat die Türkei als verbündeten Bruderstaat.

Das Auswärtige Amt riet von Reisen in die Region ab. «Von Reisen in die Nähe der Line of Contact um Bergkarabach und den besetzten Gebieten sowie in das gesamte Grenzgebiet zu Armenien wird dringend abgeraten», hieß es am frühen Sonntagabend in den Reise- und Sicherheitshinweisen. Desselbe gilt demnach für Reisen in das gesamte Grenzgebiet auf armenischer Seite. Die Einreise nach Berg-Karabach ohne eine entsprechende aserbaidschanische Erlaubnis stelle nach aserbaidschanischem Recht einen Straftatbestand dar, heißt es zudem.