16.07.2019
Verena Schmitt-Roschmann und Carsten Hoffmann, dpa

Wackelkandidatin? Von der Leyen will EU-Kommissionschefin werden

Als Überraschungskandidatin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin hatte Ursula von der Leyen nach eigenen Worten einen holprigen Start. Wird daraus doch noch ein Happy End?

Straßburg - Das strahlende Lächeln, die eisernen Nerven, die Offenheit nach allen Seiten: Ursula von der Leyen hat während ihrer europapolitischen Feuertaufe in den vergangenen Tagen alles gegeben. Die CDU-Politikerin hat mit fast allen Parteien im Europaparlament geredet, hat Freund und Feind umschmeichelt und in Windeseile ein Programm als Präsidentin der Europäischen Kommission aus dem Boden gestampft. Am Montag (15. Juli 2019) kam dann noch die Fanfare: Rücktritt als Bundesverteidigungsministerin. Aber wird das alles reichen?

An diesem Dienstag stellt sich die 60-Jährige im Europaparlament in Straßburg zur Wahl. Die Mehrheitsverhältnisse sind knapp, der Ausgang offen. Schafft sie als erste Deutsche seit Jahrzehnten den Sprung an die Spitze der mächtigen Brüsseler Behörde, wäre es ein sensationelles Comeback für die zuletzt umstrittene Verteidigungsministerin. Fällt sie durch, könnte das nicht nur die große Koalition in Berlin belasten. Die EU, die nach der Europawahl Ende Mai vom Aufbruch träumte, würde in die Krise stürzen.

Die promovierte Ärztin ist seit 2013 Verteidigungsministerin - als erste Frau in Deutschland. Zuvor war sie kurz Sozialministerin in Niedersachsen, bevor sie 2005 Bundesfamilienministerin und 2009 Arbeitsministerin wurde. Einst galt sie als Nachfolgekandidatin Nummer eins für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dann schien sie 2010 auf dem Weg zur Bundespräsidentin, was sich zerschlug.

Für die Position als Kommissionspräsidentin - eine Art Brüsseler EU-Regierungschef - bringt sie Weltläufigkeit und internationale Verbindungen mit. Und eine Bilderbuchbiografie. Von der Leyen wurde 1958 in Brüssel geboren - in dem Jahr, als Walter Hallstein als erster und letzter Deutscher Chef der Kommission wurde. Für diese Kommission arbeitete von der Leyens Vater, der spätere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht. Die Tochter ging auf die Europaschule. Sie spricht fließend Französisch und Englisch.

Von der Leyen gilt als diszipliniert und kämpferisch. Mit einem Notendurchschnitt von 0,7 im Abitur war sie einst Musterschülerin. Nach einem Abstecher in die Wirtschaftswissenschaft - ohne Erfolg, wie von der Leyen selbst sagt - folgte das Medizinstudium mit Doktortitel und schließlich die Karriere in der Politik, die sie trotz ihrer Verpflichtungen als Mutter von sieben Kindern durchzog.

Dies alles beeindruckte nicht nur den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sie nach Angaben von Diplomaten beim EU-Sondergipfel vor zwei Wochen als Kommissionspräsidentin vorschlug. Auch vom EU-Kritiker Viktor Orban aus Ungarn kam Lob für die siebenfache Mutter. Aus dem Europaparlament indes schlugen ihr von Anfang an Misstöne entgegen.

Christ- und Sozialdemokraten sind tief verärgert, dass nicht einer ihrer Europawahl-Spitzenkandidaten Kommissionschef wird. So hatten sie es im Wahlkampf versprochen. Doch gab es weder für Manfred Weber von der christdemokratischen Europäischen Volkspartei noch für den Sozialdemokraten Frans Timmermans im Kreis der Staats- und Regierungschefs eine Mehrheit. Am Ende ignorierten diese bei der Nominierung schlicht die gewünschte Mitsprache des Parlaments, das nun im Gegenzug von der Leyen zappeln ließ.

Aber gerade die deutschen Sozialdemokraten machten auch aus inhaltlichen Gründen Stimmung gegen die Verteidigungsministerin, obwohl sie in Berlin seit Jahren mit ihr den Kabinettstisch teilen. Noch während ihrer Nominierung giftete Ex-Parteichef Martin Schulz auf Twitter: «Von der Leyen ist bei uns die schwächste Ministerin. Das reicht offenbar, um Kommissionschefin zu werden.» Später stellte der Chef der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, Jens Geier, in einem Papier eine Litanei von Kritikpunkten zusammen: «Warum Ursula von der Leyen eine unzulängliche und ungeeignete Kandidatin ist.»

Als Verteidigungsministerin hatten Affären von der Leyen zuletzt enorm unter Druck gesetzt. Stichworte sind die Kostenexplosion bei der Sanierung der maroden «Gorch Fock», die Berater-Affäre um den sehr teuren Einsatz externer Fachleute bei der Modernisierung der Bundeswehr, die schlechte Einsatzbereitschaft militärischen Großgeräts oder Pannen der Flugbereitschaft. Ihre einstige Beliebtheit in Umfragen ist dahin. Im Deutschlandtrend Anfang Juli sagten nur 33 Prozent, dass von der Leyen eine gute Kommissionschefin abgeben würde.

Außerhalb Deutschlands sehen sie viele wohlwollender. Bei ihrer Nominierung stimmten 27 der 28 EU-Staaten für sie - nur Merkel musste sich wegen des Zoffs mit der SPD enthalten. Im Kreise der Nato-Partner genießt von der Leyen mit ihren Plänen für die militärische Zusammenarbeit in Europa ebenfalls Ansehen. Vom früheren US-Botschafter John Kornblum kam sogar eine Art Ritterschlag. «Trotz ihrer schwachen Reputation im Verteidigungsministerium ist sie als kompetente und vorausschauende Politikerin bekannt», sagte er dem Portal Politico. «Sie hat die Fähigkeiten, die die EU wirklich braucht.»

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