Im „Wald der Erinnerung” in der Henning-von-Tresckow-Kaserne bei Potsdam wird unter anderem mit diesem Ehrenhain der gefallenen Kameraden gedacht. Foto: Bundeswehr/Hannemann

16.01.2022
Katja Gersemann

Gedenkkultur in der Bundeswehr: Trauer, Ehrung und Erinnerung

Gabriele König, Beauftragte Angelegenheiten für Hinterbliebene im Bundesministerium der Verteidigung, spricht über ihre Aufgaben und die Herausforderungen, eine würdige Erinnerungs- und Gedenkkultur im Sinne der Hinterbliebenen zu ermöglichen.

Die Bundeswehr: Infolge des Afghanistan-Einsatzes kamen 59 Soldaten der Bundeswehr zu Tode. Mit dem Ende dieser Mission rückte die Gedenkkultur verstärkt in das öffentliche Interesse. Wie haben Sie diese Entwicklung wahrgenommen?

Gabriele König: Afghanistan hat die Bundeswehr und ihr Selbstverständnis in den letzten zwanzig Jahren wie kein anderer Auslandseinsatz geprägt: eine Armee im Einsatz, die sich im Gefecht bewährt hat, die Verwundungen an Körper und Seele sowie den Tod von Kameraden erfahren hat. Durch den Afghanistaneinsatz sind insgesamt 59 Bundeswehrangehörige ums Leben gekommen, 35 davon sind gefallen oder starben durch äußere Gewalteinwirkung. Die Missionen in Afghanistan haben den Blick auf die Auslandseinsätze, die Rolle der Bundeswehr – und eben die Frage des Gedenkens an diejenigen, die ihr Leben gegeben haben – verändert.

In der Bundeswehr gehört der ehrenvolle Umgang mit Gefallenen und Verstorbenen, das soldatische Gedenken, zum Selbstverständnis. Das drückt sich in den Einsatzkontingenten mit Anerkennung und Dank, Trauer, Totenwache, Appell, Spalier zu Ehren der Toten und Geleit auf der letzten Heimreise nach Deutschland aus. Es ist ein klares Bedürfnis zu trauern, sich von Menschen, mit denen man Seite an Seite im Einsatz war, zu verabschieden und sie sehr persönlich zu ehren.

Sie haben 2017 Hinterbliebene auf einer Reise nach Afghanistan begleitet. Wie haben Sie die Gedenkkultur vor Ort erlebt?

Auf Reisen für und mit Hinterbliebenen werden Orte aufgesucht, an denen ein geliebter Mensch im Einsatz war und zu Tode kam. Dabei geht es um individuelle Trauerbewältigung am Ort des Geschehens. Ankunft und Aufenthalt im Einsatzgebiet waren damals sehr bewegend. Wer das Camp Marmal betrat, seinerzeit Hauptstandort des Deutschen Einsatzkontingents bei Mazar-e Sharif, konnte einen bestimmten Platz inmitten der Liegenschaft nicht übersehen. Zwei rechtwinklig angeordnete Reihen von Flaggen der hier stationierten Truppen, parallel dazu eine alles umrahmende Mauer, im Zentrum ein großer Findling. An der Mauer Gedenkplatten. Jede davon ein Schicksal fernab der Heimat. Fast hundert Namen, Deutsche, aber auch von verbündeten Nationen, die im Verantwortungsbereich ihr Leben gelassen haben. Daher trägt der Findling auch einen englischen Schriftzug „Lest we forget – damit wir nicht vergessen“.

Ist es aus Ihrer Sicht gelungen, dieses kameradschaftliche Gedenken von Afghanistan nach Deutschland zu übertragen?

Ich würde das mit Blick auf die Entwicklung, die das Gedenken genommen hat, bejahen. Es hat sich viel getan. Neben dem 2009 eingeweihten Ehrenmal der Bundeswehr wurde 2014 auf dem Gelände der Henning-von-Tresckow-Kaserne der „Wald der Erinnerung“ eingeweiht. Inmitten des natürlichen Baumbestandes führt dort der „Weg der Erinnerung“ zum „Ort der Stille“. Auf acht Stelen säumen die Namen der Gefallenen und Toten der Auslandseinsätze und anerkannter Missionen, bis zum heutigen Tag 115, den Weg und die Zugänge zu den aus Afghanistan, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo überführten Ehrenhainen. Diese mit einfachsten Mitteln an den Einsatzorten durch die Truppe selbst errichteten Ehrenhaine sind Zeichen einer wahrhaftigen Gedenkkultur und des Bedürfnisses, an Verstorbene aus den eigenen Reihen zu erinnern. Es ist eine Form des Gedenkens, welches unmittelbar aus der Truppe heraus, von den Kameradinnen und Kameraden getragen und verstanden wird.

Auch der Ehrenhain des Camp Marmal wird hier dereinst seinen Platz finden; die Fundamente stehen.

Pflichtbewusstes Dienen und tapferes Handeln zeigen sich nicht nur im Einsatz. Der „Wald der Erinnerung“ ist daher allen gewidmet, die in Ausübung des Dienstes ihr Leben verloren haben, ob in Deutschland oder anderswo. All ihre Hinterbliebenen können an einem Baum eine kleine Namenstafel zur Erinnerung anbringen.

Mit diesen vielen Facetten ist ein wirklich besonderer Ort entstanden, der eine ganz andere Art des Einblicks gewährt, was es heißt, im Dienst für unser Land das eigene Leben gegeben zu haben.

Haben wir in Deutschland inzwischen auch in der Gesellschaft einen passenden Rahmen für die Gedenkkultur gefunden?

Für Hinterbliebene ist eine bewahrende und würdige Erinnerungskultur für die im und infolge der Auslandseinsätze Gefallenen und Verstorbenen, welche die gesamte Gesellschaft erreicht, von besonderer Bedeutung. In der Gesellschaft standen wir – insbesondere seit dem Karfreitagsgefecht 2010 – vor der Frage, wie Anteilnahme in Deutschland stattfinden kann, welchen Bezugsrahmen wir dafür in der Heimat, fern von der Einsatzrealität und den Gefahren der Bundeswehr im Ausland, eröffnen. Und wie sich diese Erfahrungswelten im gemeinsamen Gedenken und in Anerkennung der Gefallenen und Verstorbenen zusammenführen lassen.

Fest steht: Es gibt nicht nur die eine Form des Gedenkens. Der persönliche Bezug und die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für die Gesellschaft braucht sehr unterschiedliche Zugänge.

Und da hat sich eine Menge getan – vom Ehrenhain bis zum Gedenkbuch im Bundestag…

Das ist richtig. Mit dem Ehrenmal der Bundeswehr haben wir einen sehr zentralen Gedenkort mitten in Berlin. Das Ehrenmal ist nicht nur eine Stätte der Bundeswehr, sondern ein öffentlich zugänglicher Ort. Und wann immer ich mich dort aufhalte, sehe ich selbst, dass das Ehrenmal aufgesucht wird. Es sind Hinterbliebene, Angehörige der Bundeswehr, manche mit ihren Familien, manche allein, Schülerinnen und Schüler, Menschen von überall. Es macht bewusst, dass der Dienst in der Bundeswehr, der Einsatz für Frieden, Recht und Freiheit, im Äußersten den Tod mit einschließt. Und es hat, das sieht man, eine besondere Wirkung auf die Besucherinnen und Besucher. Hier finden sich die über 3300 Namen der in Ausübung ihres Dienstes Verstorbenen – im Lichtband und in dem 2014 eingeweihten Buch des Gedenkens. Ergänzt wird dieses Gedenken durch den bereits erwähnten „Wald der Erinnerung“, der in den vergangenen sieben Jahren von 60.000 Besuchern, und damit deutlich mehr als erwartet, aufgesucht wurde.

Daneben wird das Andenken in der Truppe an die Frauen und Männer, die über den Tod hinaus Teil der Geschichte des eigenen Verbandes geworden sind, hochgehalten. Hinzu kommen durch Kommunen, Gemeinden oder in Privatinitiative gestaltete Formen des Andenkens bis hin zur Widmung von Straßen und Plätzen.

All dies zeigt, Gedenken braucht Anknüpfungspunkte. Mit dem am 18. November 2020 eingeweihten Gedenkbuch im Bundestag, den Stätten im Bundesministerium und beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr, dem Andenken in der Truppe und in manchen Kommunen hat sich neben den bestehenden Ehrenmälern der Teilstreitkräfte viel getan. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir einen vielschichtigen Rahmen für ein würdiges Gedenken gefunden haben.

Diesen gilt es vielleicht noch mehr in die Öffentlichkeit zu tragen und – auch wenn es angesichts des Todes so Vieler widersprüchlich klingt – mit Leben zu füllen. Denn Erinnerungskultur, so formulierte es der Bundestagspräsident Norbert Lammert zum Volkstrauertag 2007, ist die bewusste Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Ministerialrätin Gabriele König gehört seit 2012 zum Team der Ansprechstelle für Hinterbliebene; im Januar 2021 übernahm sie die Leitung als nunmehr dritte Beauftragte Angelegenheiten für Hinterbliebene im Bundesministerium der Verteidigung.

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