Stabsfeldwebel Dirk Meyer-Schumann  Foto: Daniela Skrzypczak

Stabsfeldwebel Dirk Meyer-Schumann Foto: Daniela Skrzypczak

03.08.2022
Von Jürgen Görlich

Können Gesichter Geschichten erzählen?

Diese Frage haben wir, die Soldaten und Veteranen Stiftung (SVS), uns vor gut einem Jahr gestellt. Gesichter des Lebens, Geschichten von Veteranen, die unter die Haut gehen, erzählt ganz nah und mit Gefühl. diese Erwartungen haben wir vom Vorstand der Soldaten- und Veteranenstiftung gehabt, bevor wir das Projekt „Gesichter des Lebens“ der mehrfach ausgezeichneten Fotografin Daniela Skrzypczak unterstützt haben.

Jetzt nach fast einem Jahr wollen wir einen ersten Rückblick wagen, in dem wir zuerst einmal Stabsfeldwebel Dirk Meyer-Schumann gerne zu Wort kommen lassen. Dirk, so wie wir ihn alle nennen dürfen, war der soldatische Auftakt des Fotoprojektes. Zuvor waren bei Gesichter des Lebens Menschen in einem Seniorenstift dargestellt worden und der Wald der Erinnerung stand im Mittelpunkt.

Nun also mit Dirk zum ersten Mal ein Veteran, mehr sogar, ein posttraumatisch belasteter Afghanistanveteran. Die Veröffentlichung fand am 4. Oktober 2021 statt und heute steht er uns zum Interview bereit. Wir möchten vor allem von ihm wissen, wie es ihm ergangen ist und was ihm persönlich dieses Shooting gebracht hat.

Erinnern wir uns kurz: Dirk fühlte sich unsicher, er hatte Zweifel und er empfand sich auf den Bildern als alt und von Spuren gezeichnet. Und dennoch hat er sich im Laufe des Shootings wohl gefühlt und er sagte selbst: „Die Bilder sind toll, aber das bin nicht ich.“ Aber lassen wir Dirk heute zu Wort kommen und lesen wir, wie es ihm heute geht.

Hallo Dirk, was sagt dir der 4. Oktober 2021 und weißt du noch, wie du dich an diesem Tag gefühlt hast?

An den 4. Oktober kann ich mich noch recht gut erinnern. Ich war zu Gast in der „Schaltzentrale“ des BundeswehrVerbandes, um auf die unterschiedlichen Probleme im Umgang mit Veteranen und Einsatzgeschädigten aufmerksam zu machen. Die Soldaten- und Veteranenstiftung mit ihrem Vorsitzenden Hauptmann a.D. Uwe Köpsel, hatte das Ganze organisiert und für den Nachmittag ein Fototermin mit „irgendeiner“ Fotografin ausgemacht. Da ich seit langer Zeit mal wieder meinen Dienstanzug trug und schon deshalb sehr aufgeregt war, war die Aufregung am Nachmittag kaum greifbar, denn ich sollte mir „…das mal anschauen, ob das was für den Verband und die SVS ist…“ Das war Anspannung pur!

Du warst der Soldat, der als erster am Tisch der Familie „Gesichter des Lebens“ Platz genommen hat. Was hat dich überzeugt, dich so zu öffnen und porträtieren zu lassen?

Am Nachmittag klopfte mir Oberstabsfeldwebel a.D. Jürgen Görlich, mein Kamerad und Freund, noch auf die Schulter mit den Worten „… du machst das schon…“ und keine 200 Meter weiter sollte ich auf eine Dame mit Fotoapparat treffen. Schon nach dem ersten Hallo, war es, als ob wir uns ewig kennen würden. Daniela Skrzypczak, wir einigten uns schnell auf Daniela, erzählte mir einiges über ihre Projekte und zu ihrer Idee. Da merkte ich, wenn es das ist, was ich mir gerade in diesem Moment vorstelle, dann können wir für alle Kameraden etwas erreichen. Danielas ruhige Art schafften es, eine Balance zu finden zwischen traurigen Momenten in dem Interview und ein seltenes Gefühl, gelöst zu sein und lächeln zu können. Als ich dann euch, der SVS, von meinen Erfahrungen erzählte und so beiläufig meinte: „Das müssen wir machen, das ist eine Chance…, das müsst ihr unbedingt unterstützen“, war mir nicht bewusst, was daraus werden würde.

Weißt du noch, wie du dich dabei gefühlt hast?

Wie fühlt man sich, wenn man jemanden mitten in Berlin, in einem Park trifft, vor allem durch einen „Turmtreffer“ geschädigt: bescheiden und angespannt. Aber diese Form wechselte schnell in Aktionismus, etwas bewegen zu wollen und die Chance zu ergreifen, für andere da zu sein. Also erzählte ich einem eigentlich „fremden“ Menschen meine Gefühle, Gedanken und beschrieb Bilder vom Leben mit PTBS und dem ständigen Kampf mit den Dämonen und natürlich, wie ich mich als Soldat von meinem Dienstherrn behandelt fühlte. Ein schönes Gefühl, weil ich merkte, wie Daniela dieses alles „aufgesogen“ hat.

 

Hat sich dein Leben durch das Projekt verändert oder hat es dich beeinflusst?

„Gesichter des Lebens“ ist ab diesem Tag, ein Teil von mir geworden. Es begleitet mich, weil es gewachsen ist, so wie ich in meiner Verwundung gewachsen bin. Ich wurde oft gefragt: Was ist das denn und was macht es so wichtig? Oder: Lohnt es sich, daran teilzunehmen? Wolf Gregis habe ich gewinnen können, weil ich gemerkt habe, es wächst etwas zusammen, etwas, was uns alle zusammenbringen kann und es gibt uns eine Möglichkeit, auf eine andere Art und Weise zu kommunizieren.

Wie ist es dir persönlich im letzten Jahr ergangen?

Das vergangene Jahr, war geprägt von zwei stationären Aufenthalten, um die PTBS und mich selbst zu stabilisieren. Des Weiteren hatte ich im Zuge des WDB-Verfahrens eine weitere Begutachtung. Das schlaucht sehr und ist für meine Familie und mich selbst eine Herausforderung. Als dann noch das Thema Rückzug beziehungsweise Flucht aus Afghanistan und Kabul Mitte des Jahres mit voller Wucht auf mich geprallt ist, war ein Tiefpunkt aus Trigger, Flashbacks und Panikattacken erreicht. Der Umgang der Bundeswehr mit seinen Soldaten wurde für mich zu einer Zerreißprobe , die unter die Haut gehen - und daraus bin ich stärker geworden, auch weil ich wusste, ich muss dafür kämpfen, um auch andere Kameraden davor zu bewahren.

Wie siehst du das Projekt heute, nach fast einem Jahr? Bist du mit dir und der Entwicklung des Projektes zufrieden?

Nach gut einem Jahr ist „Gesichter des Lebens“ zu einer tragenden Säule in der Veteranenarbeit geworden. Nachdem selbst innerhalb der Bundeswehr die Fürsprecher immer mehr wurden und die Teilnehmer unterschiedlicher nicht sein können, bin ich stolz auf den Erfolg. Ich selbst habe die Entscheidung getroffen, die Bundeswehr zu verlassen und danach dafür zu kämpfen, das System und die Fürsorge zu verbessern. Zufrieden kann man eigentlich nie sein, da es immer noch vielen Kameraden schlecht geht, aber ich bin stolz, „Gesichter des Lebens“ mit auf den Weg gebracht zu haben. Vor einem Jahr hätte ich das so nicht gedacht.

Was sagen Kameraden beziehungsweise Freunde zu dieser Möglichkeit, in die Gesellschaft zu gehen? Bist du darauf angesprochen worden?

Wie gesagt, der Zuspruch zum Projekt ist super. Auch weil es zu einem Gespräch ein „Opener“ sein kann. Ich verfolge jedes neue Gesicht am großen Tisch des Lebens und daraus entwickeln sich Gespräche. Es wäre schöner, wenn wir mit dem Projekt breiter in die Fläche, in die Kasernen gehen könnten. Viele Kameraden von mir sind froh, dass es dieses Projekt gibt und sind stolz darauf, dass die Betroffenen selbst dafür kämpfen.

Wie hat deine Familie reagiert, als sie die Bilder, den Text und das Interview sich angeschaut beziehungsweise angehört haben?

Meine Frau war erstaunt über die Aussagekraft der Bilder, weil sie einen Menschen gezeigt haben, der so kaum noch auftritt. Die Familie ist ein Fels in der Brandung und ohne sie wäre vieles nicht so wie es jetzt ist. Insgesamt sind Bilder und Interview eine Einheit und so verstehen wir uns als Familie. Auch für die Familien im Hintergrund ist es ein Signal der Stärke, und so kommen auch sie aus dem Schatten heraus und werden für den Dienstherrn sichtbar.

Welche Wünsche hast du an „Gesichter des Lebens“? In welche Richtung sollte es sich weiter entwickeln?

Mit „Gesichter des Lebens“ hat sich mein Wunsch der besseren Wahrnehmung eigentlich erfüllt. Obwohl es nur ein kleiner Teil ist, hat Daniela damit einen Stein ins Rollen gebracht. Man sieht uns, man hört uns und man spricht über uns. Ich würde mir wünschen das dieses Projekt eine feste Größe, eine Art Wanderausstellung wird und es ist wichtig, dass wir mit diesem Projekt in die Öffentlichkeit gehen. Dort kennen es noch viel zu wenige. In Schulen, in Rathäuser, bei Veranstaltungen der Bundeswehr und auf Stadtplätzen müssen wir uns sichtbar machen. So können wir „Gesichter des Lebens“ mit Leben füllen. Wenn viele am Großen Tisch „Gesichter des Lebens“ sitzen, muss immer noch ein Platz für einen Gast sein und diese Gäste müssen wir einladen und mitnehmen. Es zeigt die Vielschichtigkeit des Soldatenberufes und den Drahtseilakt mit einer Erkrankung, die immer noch ein Randthema ist.

Würdest du wieder teilnehmen und dich so offen für alle porträtieren lassen?

Auf jeden Fall. Nur so können wir für uns selbst und für andere da sein. Die Bilder zeigen uns „Mit ohne Narben“ und wenn heute der 4. Oktober vor einem Jahr wäre …. ich hätte denselben Respekt und Schiss vor dem ersten Mal - Aber ich würde alles genauso wieder machen, ohne zu zögern.

Danke Dirk für deine offenen Worte.

Mit diesem ersten kleinen Rückblick auf den Beginn des Projektes „Gesichter des Lebens“ der Fotografin Daniela Skrzypczak, wollen wir, die SVS, dem Wunsch von Dirk Meyer-Schumann nachkommen. Das Thema Einsatzschädigung muss in die Öffentlichkeit getragen werden. Wir benötigen eine Veteranenkultur, die auch beinhaltet, was im Namen steht. Deutschland, seine Bundeswehr, die Politik und die Gesellschaft sind noch weit davon entfernt. Aber Aufgeben gibt es nicht, und jeden noch so kleinen Schritt in die richtige Richtung wollen wir nutzen.

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