09.11.2017
Michael Fischer, dpa

Bundeswehreinsätze: Unterschätztes Risiko für ein Jamaika-Bündnis

Klimaziele, Flüchtlingspolitik, Verkehr: Das sind bisher die Hauptstreitpunkte in den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition. Es gibt aber noch andere Risiken, die bisher kaum diskutiert werden. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr zum Beispiel.

Berlin - Es war einer der wichtigsten und mit Sicherheit der spektakulärste Parteitag in der Geschichte der Grünen. Außenminister Joschka Fischer wurde auf offener Bühne von einem Beutel mit roter Farbe am Ohr getroffen und musste mit einer Trommelfellverletzung ins Krankenhaus. Stinkbomben flogen. Delegierte beschimpften Kabinettsmitglieder als «Mörder» und «Kriegstreiber». Hunderte Polizisten mussten den Tagungsort vor aufgebrachten Demonstranten schützen.

Alle Proteste blieben aber erfolglos. Die rund 800 Delegierten stimmten an diesem 13. Mai 1999 in der Bielefelder Seidensticker-Halle mehrheitlich für die Beteiligung der Bundeswehr an den Nato-Bombardements auf serbische Stellungen im Kosovo-Krieg. Mit dem Votum bewahrten sie die erste rot-grüne Bundesregierung nur ein halbes Jahr nach ihrer Vereidigung vor dem Scheitern.

Dass sich solche Szenen wie in Bielefeld bei einem Grünen-Parteitag wiederholen, dürfte wohl ausgeschlossen sein. Trotzdem könnten die Auslandseinsätze der Bundeswehr wieder zum Problem werden, sollte die Partei erstmals seit zwölf Jahren wieder in eine Bundesregierung einziehen.

In den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition stehen zwar bisher Streitthemen wie die Klimaziele und Flüchtlingspolitik ganz klar im Vordergrund. Am Dienstag gab es aber erstmals auch Auseinandersetzungen darüber, was aus den 13 Einsätzen werden soll, die der Bundestag zu Zeiten der großen Koalition mandatiert hat.

Sollten die Grünen bei ihrem bisherigen Abstimmungsverhalten als Oppositionspartei bleiben, gäbe es für sieben dieser Einsätze keine Regierungsmehrheit mehr. Über fünf muss der Bundestag bereits im März abstimmen, über die anderen beiden im Mai und Juni. Darunter sind Einsätze, die bisher von Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) bei Verbündeten gerne als Beweis dafür angeführt werden, dass Deutschland zu mehr Verantwortung in der Welt bereit ist - auch militärisch. Drei Beispiele:

- ANTI-IS-EINSATZ: Die Bundeswehr beteiligt sich mit «Tornado»-Aufklärungsfugzeugen und einem Tankflugzeug an den Luftangriffen auf IS-Stellungen in Syrien und im Irak. Die Grünen haben geschlossen dagegen gestimmt. Fraktionsgeschäftsführerin Katja Keul bezeichnete die Mission einer «Koalition der Willigen» ohne UN-Mandat sogar als «Bruch des Völkerrechts» und Verstoß gegen das Grundgesetz.

- AFGHANISTAN:
Der verlustreichste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr läuft seit 16 Jahren - inzwischen allerdings nur noch als Ausbildungsmission. Angesichts der verheerenden Sicherheitslage will die Nato ihre Truppen jetzt aber wieder aufstocken. Die Grünen sind seit Jahren gespalten, was den Afghanistan-Einsatz angeht. Die Ablehnung überwiegt aber. Die geplante Truppenaufstockung vergrößert die Skepsis nun sogar noch. Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger sprach sich im Südwestrundfunk bereits dagegen aus.

- EU-OPERATION «SOPHIA»:
Der EU-Einsatz gilt der Schleuserbekämpfung im Mittelmeer. Die vor der libyschen Küste eingesetzten Schiffe retten aber auch regelmäßig hunderte Flüchtlinge aus Seenot. Für beide Aufgaben fällt nach Ansicht der Grünen nicht in den Aufgabenbereich des Militärs, sondern der Polizei beziehungsweise ziviler Organisationen. Die Grünen lehnen zudem die Ausbildung der libyschen Küstenwache als «Abschottungspolitik» gegen Flüchtlinge ab.

Die Union steht fest zu all diesen Missionen, und auch von der FDP ist trotz einer skeptischeren Haltung gegenüber Militäreinsätzen kein größerer Widerstand zu erwarten. Die Grünen wollen nun zunächst schauen, ob sie über eine Veränderung der Einsätze einen Kompromiss erreichen können. «Es hängt davon ab, ob wir imstande sein werden durchzusetzen, dass die Mandate tatsächlich verbessert werden», sagte der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour kürzlich im Deutschlandfunk. «Wenn nicht, dann kommen wir da nicht zusammen.»

Zur Not könnten Union und FDP immer noch auf Zustimmung aus der Opposition setzen. Die SPD hat schließlich in der vergangenen Legislaturperiode allen 13 Einsätzen zugestimmt. Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen betont aber, dass eine Regierung bei so wichtigen Entscheidungen eine eigene Mehrheit zu Stande bringen müsse. «Es wäre auch ein bisschen merkwürdig, wenn es da ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten geben würde», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, dass wir eine Regierung bekommen, die sagt, bei sieben Einsätzen verlassen wir uns auf die Opposition. Da müssen die Grünen Farbe bekennen.»