Maas sieht Afghanistan im Umbruch - Konferenz in Bonn angeboten
Deutschland ist der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan und von US-Berichten über einen möglichen Teilabzug von Soldaten kalt erwischt worden. Außenminister Maas hofft, dass es zu Friedensgesprächen kommt. Er macht ein Angebot.
Kabul - Außenminister Heiko Maas hat der Regierung in Kabul die Ausrichtung einer neuen Afghanistan-Konferenz in Deutschland angeboten, um über eine dauerhafte Friedenslösung in dem mehr als 17 Jahre langen Konflikt zu verhandeln. Die bereits laufenden Gespräche zwischen US-Vertretern und den radikalislamischen Taliban in Doha seien nur ein erster Schritt, sagte Maas am Montag in Kabul bei einem Treffen mit seinem afghanischen Amtskollegen Salahuddin Rabbani. Bonn war bereits Schauplatz von zwei Afghanistan-Konferenzen, der ersten im Jahr 2001 und einer weiteren - zehn Jahre später - im Jahr 2011.
Der SPD-Minister rief außerdem den Bundestag zu einer breiten Unterstützung für die Verlängerung des Ende März ablaufenden Mandats für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auf. Deutschland beteiligt sich an der Nato-Ausbildungsmission «Resolute Support» mit bis zu 1.300 Soldaten.
Auf einer Konferenz in Bonn könnten ein Friedensprozess und eine Verfassungsreform ausdiskutiert werden, sobald von afghanischer Seite die Bedingungen dafür geschaffen seien, sagte Maas. Rabbani sagte, ein Friede könne nur in direkten Gesprächen mit den Taliban ausgehandelt werden.
In einem Kurswechsel hatten die USA im vergangenen Sommer Direktgespräche mit den Taliban aufgenommen, um Afghanistan-Konflikt zu beenden. Die Taliban lehnen allerdings direkte Gespräche mit der afghanischen Regierung bislang ab. Zuletzt wurde aber über substanzielle Fortschritte in Doha berichtet.
«Man spürt es hier, dass dieses Land sich in einem Umbruch befindet, eine Dynamik für Friedensverhandlungen», sagte Maas. «Im Juli stehen Präsidentschaftswahlen an. Das sind Entwicklungen, die die Weichen für die Zukunft Afghanistans ganz entscheidend stellen.» Maas sprach von einer «historischen Chance», auch wenn den Beteiligten noch sehr mutige Schritte abverlangt würden. Deutschland lehne es jedoch ab, dass Reformen zurückgedreht würden, sagte er. Maas nannte in diesem Zusammenhang Demokratie, Menschenrechte, Frauenrechte und Zugang zu Bildung.
Der Minister besuchte im Anschluss das Gelände der hochgesicherten Deutschen Botschaft in Kabul, die im Mai 2017 bei einem Anschlag schwer beschädigt worden war. Attentäter hatten einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen explodieren lassen. Derzeit wird noch an einer Containerwohnung auf dem Gelände gebaut.
Maas rief außerdem den Bundestag zu einer breiten Unterstützung auf, um das Ende März ablaufende Mandat für den Einsatz der Bundeswehr zu verlängern. Nach Berichten über einen möglichen Teilabzug von US-Truppen forderte er im Feldlager Camp Marmal in Masar-i-Scharif, Fortschritte bei Menschenrechten und wirtschaftlicher Entwicklung nicht aufs Spiel zu setzen. «Das, was hier sehr mühselig über viele, viele Jahre aufgebaut worden ist, das, glaube ich, kann innerhalb kürzester Zeit kurz und klein geschlagen werden, wenn man jetzt Fehler macht», sagte Maas. Ein vorschneller Abzug sei ein Fehler.
Deutschland beteiligt sich an der Nato-Ausbildungsmission «Resolute Support». Die Nato und verbündete Staaten bilden afghanische Sicherheitskräfte aus. Diese sind unter erheblichen Druck der Taliban. Im Januar gab es im Norden die Landes die Größte Zahl an Zwischenfällen seit 2015. Militärkreisen zufolge sterben täglich rund 35 Soldaten und Polizisten bei Gefechten und Anschlägen. Auch in der Nacht zu Montag töteten Taliban-Kämpfer Behördenangaben zufolge in der westlichen Provinz Badghis mindestens 16 Soldaten bei einem Überfall auf einen Armeeposten.
Berichte, wonach US-Präsident Donald Trump einen Teilrückzug amerikanischer Soldaten aus dem Land anstrebt, haben bei Verbündeten für Unsicherheit und Verärgerung gesorgt. Die US-Regierung hofft, dass noch vor der Präsidentschaftswahl in Afghanistan im Juli ein Abkommen mit den islamistischen Taliban zustande kommt. Die Aufständischen kontrollieren heute wieder weite Landstriche.
Bei einem Treffen von Maas mit afghanischen Frauen äußerten diese ihre Befürchtung, dass sich ihre Lage in dem Land wieder verschlechtern könne. Für einen Friedensvertrag, mit dem die Taliban die Zeit zurückdrehen könnten, gebe es in Afghanistan keine Unterstützung, sagte Maas. «Ich glaube, dass ein solcher Friedensvertrag hier in Afghanistan keine Mehrheit finden würde, weil Demokratie, Menschenrechte auch die Rechte von Frauen, dass Mädchen in die Schule gehen können, jetzt doch schon über so viele Jahre zum alltäglichen Leben gehören.»
Afghanistan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Im vergangenen Jahr belegte das Land im UN-Entwicklungsindex Platz 168 von 189. Bis auf weiteres hängt Afghanistan mit seiner wachsenden Bevölkerung - die Hälfte der Menschen ist jünger als 15 Jahre - vor allem von Geldhilfen aus dem Ausland ab. Laut Weltbank drängen jährlich 400.000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Der Haushalt der Regierung für den laufende Jahr in Höhe von 5,3 Milliarden US-Dollar (rund 4,7 Milliarden Euro) soll je zur Hälfte aus nationalen Quellen und von internationalen Gebern finanziert werden.
Wirtschaftliche Chancen gibt es theoretisch mit einer Erschließung von zahlreich vorhandenen Bodenschätzen, was ohne Stabilität und Rechtssicherheit aber nicht denkbar ist. Landwirtschaftliche Entwicklung ist als wichtige Aufgabe erkannt. Illegaler Exportschlager sind allerdings Drogen: Afghanistan ist in den Jahren des internationalen Engagements der weltweit größte Produzent für Opium geblieben.