20.12.2017
Nico Pointner, dpa

Von der Leyen regt Debatte über Truppenaufstockung in Afghanistan an

Einsatz ohne Ende? Eigentlich wollte die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen. Nun fordert die Verteidigungsministerin eine Diskussion über eine erneute Truppenaufstockung. Das Vorhaben ist heikel.

Masar-i-Scharif - Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will im Bundestag so bald wie möglich über eine Aufstockung der Truppe in Afghanistan diskutieren. «Mir sagen die Soldaten, aber vor allem die Ausbilder: Wir haben genug Ausbilder, wir könnten aber deutlich mehr machen, wenn wir bessere Schutzkomponenten hätten, mehr Schutzkräfte», sagte die CDU-Politikerin am Dienstag (19. Dezember 2017) bei ihrem Besuch im deutschen Feldlager im nordafghanischen Masar-i-Scharif. «Jetzt ist es so, dass Aufträge liegen bleiben. Das bedauern die Soldaten hier.» Bislang hatte die Bundesregierung zurückhaltend auf Forderungen reagiert, mehr Soldaten an den Hindukusch zu schicken.

Ob für eine Aufstockung dieser Schutzkräfte eine Anhebung der Mandatsobergrenze nötig ist und damit wieder mehr Bundeswehrsoldaten in das kriegsgeplagte Land geschickt werden könnten, ließ von der Leyen offen. Man wolle so breit und so gut wie möglich innerhalb des Rahmens des Mandates die Ausbildung der afghanischen Kräfte vorantreiben, sagte sie. Von der Leyen kündigte zudem einen umfassenden Bericht zur Lage und zum Einsatz an, der die vergangenen Jahre in den Blick nimmt, Fehler analysiert und Ziele klar definiert.

Wegen der Hängepartie bei der Regierungsbildung hatte der Bundestag den Afghanistan-Einsatz erst vergangene Woche um drei Monate verlängert, um außenpolitische Kontinuität zu gewährleisten. Im Frühjahr müssen sich die Parlamentarier erneut mit der Mission befassen. Von der Leyen forderte eine breite Debatte, sobald die Fachausschüsse des Bundestags im Januar eingesetzt sind. Sie spricht sich zudem für eine Verlängerung des Mandats um ein volles Jahr aus - unabhängig davon, ob im Frühjahr bereits eine neue Regierung steht. «Es dreht sich die Welt schnell weiter.» Die Soldaten bräuchten Rechtssicherheit, die Partnernationen in Afghanistan Verlässlichkeit.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich zuletzt massiv verschlechtert. Die afghanischen Sicherheitskräfte, die ihr Land seit dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes verteidigen sollen, sind überfordert - und die Nato-Ausbildungsmission gilt als zu klein. Wegen der anhaltenden Anschläge und Angriffe der aufständischen Taliban wollen die Nato und der mit Abstand größte Truppensteller USA wieder mehr Soldaten ins Land schicken. Dadurch wuchs zuletzt auch der Druck auf den zweitgrößten Truppensteller Deutschland.

Einer der längsten Einsätze in der Geschichte der Bundeswehr läuft bereits seit 16 Jahren, inzwischen nur noch als Ausbildungsmission. Deutsche Soldaten dürfen nur noch zur Waffe greifen, um extreme Gefahr von sich und Verbündeten abzuwenden. Die maximale Truppenstärke liegt derzeit bei 980 Soldaten. Eine erneute Erhöhung über die 1000er-Marke gilt als politisch heikel, weil man sich damit deutlich vom Ziel eines kompletten Abzugs aus Afghanistan entfernen würde.

Derzeit sind knapp 1000 deutsche Soldaten in Afghanistan im Einsatz, die meisten in Masar-i-Scharif im Norden des Landes. Davon sind nur wenige Dutzend für die Beratung und Ausbildung der afghanischen Streitkräfte abgestellt. Die anderen kümmern sich um die Verwaltung der Ausbildungsmission. Die Berater werden von Schutzkräften begleitet, an denen es aber offenbar mangelt, berichtete von der Leyen aus Briefings mit führenden Militärs am Dienstag.

56 Bundeswehr-Soldaten sind in Afghanistan seit 2002 ums Leben gekommen - das macht die Mission zur verlustreichsten in der Geschichte der Truppe. Im Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr stationiert ist und lange Schutzmacht war, herrscht wie in anderen Landesteilen weiter Gewalt. Erst vergangene Woche wurden deutsche Soldaten bei einer Routine-Patrouillenfahrt mit Handwaffen beschossen. Das kam lange nicht mehr vor. Verletzt wurde niemand.

Man habe die Truppen in Afghanistan zu schnell reduziert, sagte von der Leyen. «Ich bin froh, dass wir jetzt auch nicht mehr nach Wahlkalendern den Abzug orientieren, sondern dass inzwischen der Abzug der Truppen schrittweise über die Lage definiert wird.» Einerseits kontrollierten die afghanischen Sicherheitskräfte bereits zwei Drittel des Landes, andererseits griffen die Taliban immer wieder massiv mit spektakulären Anschlägen an. Man müsse Druck ausüben, damit die gesprächsbereiten Taliban an den Verhandlungstisch kommen.

Von der Leyen hatte von den deutschen Soldaten vor Ort bereits am Montag einen langen Atem für die Mission gefordert. «Ich bin überzeugt, dass wir mit unserem Engagement auf dem richtigen Weg sind, wir einen langen Atem haben müssen.» Die Ministerin besucht die Truppe dort bereits zum sechsten Mal. Die Ministerbesuche in Afghanistan kurz vor Weihnachten haben Tradition.