Zwischen den Fronten - Die Bundeswehr und die Eskalation im Irak
Die Waffenlieferungen an die Kurden im Irak waren 2014 stark umstritten. Der damalige Schritt könnte sich nun rächen.
Berlin - Nach dem Unabhängigkeitsreferendum der Kurden marschieren irakische Truppen auf kurdische Gebiete vor. Die Bundeswehr setzt die Ausbildung der kurdischen Armee im Nordirak aus. Die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg in dem Land wächst. 2014 lieferte Deutschland erstmals Waffen in die Krisenregion. Damit sollten die Kurden die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekämpfen. Werden die Waffen jetzt gegen die irakischen Truppen eingesetzt?
Was genau an Kriegsgerät wurde in den Irak geliefert?
Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer unterhielten unter anderem 20.000 Sturmgewehre, 400 Panzerfäuste und 1.200 Panzerabwehr-Raketen sowie mehrere Millionen Schuss Munition. Gesamtwert von Waffen und Ausrüstung: 90 Millionen Euro. Im November 2016 wurden die letzten Waffen geliefert. An die Zentralregierung in Bagdad lieferte die Bundeswehr militärische Ausrüstung wie Gefechtshelme oder Masken und Anzüge zum Schutz vor nuklearen, chemischen und biologischen Kampfstoffen - aber keine Waffen.
Was war an den Waffenlieferungen besonders?
Mit der Unterstützung der Kurden im Kampf gegen den IS hat die Bundesregierung in gewisser Weise ein Tabu gebrochen. Erstmals lieferte sie Waffen an eine unmittelbar im Kampf stehende Konfliktpartei. Von einem Paradigmenwechsel in der Außenpolitik wollte die Regierung aber nicht sprechen, sie nannte die Rüstungshilfe einen Ausnahmefall.
Wie wurde dieser Sinneswandel begründet?
Mit dem «barbarischen» Vorgehen der Islamisten und einem drohenden Völkermord. Der IS ist heute fast besiegt, doch damals war er auf dem Vormarsch. Die Terrormiliz überrannte die Jesiden-Gebiete im Nordirak, enthauptete Männer und versklavte Frauen. Die Extremisten standen vor den Kurdengebieten. Die Regierung begründete den Schritt aber auch mit der Gefahr, dass IS-Terroristen in Europa Anschläge verüben könnten. Kanzlerin Angela Merkel rechtfertigte die Waffenlieferungen als «Beitrag zur Stabilisierung der gesamten Region». Sie sagte auch, sie könne nicht alle Risiken ausschließen, die mit der Lieferung von Sturmgewehren, Panzerfäusten und Pistolen verbunden seien. Aber die Alternative sei das tatenlose Zusehen der Ermordung vieler Menschen.
Wie positionierten sich damals die Parteien?
Die Koalition aus Union und SPD stand zwar - abgesehen von wenigen Abgeordneten - hinter der Regierungslinie. Die Linken-Fraktion und auch eine Mehrheit der Grünen-Abgeordneten lehnten die Lieferung aber ab, ebenso wie Umfragen zufolge zwei Drittel der Bundesbürger.
Waren es die erste deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet?
In der Form schon. Deutschland versorgt seit Jahrzehnten auch Israel unabhängig von der Lage im Nahost-Konflikt mit Rüstungsgütern. Das ist aber ein Sonderfall: Wegen des Holocausts ist der Schutz des Existenzrechts Israels deutsche Staatsräson. Im Irak wurde dagegen erstmals eine Konfliktpartei unterstützt, die nicht zu Deutschlands traditionellen Verbündeten gehört. Und das, obwohl die kurdische Autonomieregierung damals die Unabhängigkeit anstrebte.
Wie ist die Lage nun vor Ort?
Der Ausbildungseinsatz deutscher Soldaten liegt aus Sicherheitsgründen seit dem Aufmarsch irakischer Truppen auf Eis. Man habe keine eigenen Kenntnisse über das Geschehen, die Lage sei unklar, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Die Entscheidung sei inkonsequent, kritisiert Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. «Die Bundeswehr befindet sich mit diesem Mandat politisch auf beiden Seiten der Front im Irak. Sie muss umgehend und vollständig aus dem Irak und Kurdistan abgezogen werden.»
Werden deutsche Waffen nun in einem neuen Bürgerkrieg eingesetzt?
Schon als die Waffenlieferung beschlossen wurde, gab es über Parteigrenzen hinweg Bedenken, die Kurden könnten die Gewehre irgendwann einmal im Unabhängigkeitskampf gegen Soldaten der irakischen Zentralregierung richten. Die Bundesregierung hat sie zwar explizit für den Kampf gegen den IS geliefert - aber sie ging damals das Risiko ein. Das Verteidigungsministerium stützt sich weiter auf die Zusage der Kurden. Diese sei «notwendige Grundlage der Zusammenarbeit». Ob sie im Fall eines Unabhängigkeitskriegs noch die Kontrolle darüber hätte, ist mehr als fraglich. Eine Kontrolle gibt es nicht. Im Frühjahr etwa gab es Vorwürfe, wonach kurdische Kämpfer mit deutschen Waffen gegen Jesiden vorgegangen sein sollen.
Wie geht es weiter mit dem Einsatz?
Die Regierung prüft derzeit, ob die deutschen Soldaten im Nordirak bleiben können. Am 31. Januar läuft das Bundestagsmandat für den Einsatz offiziell aus. Am Mittwoch will das Kabinett beschließen, mehrere Auslandseinsätze wegen der anstehenden Regierungsbildung erstmal um drei Monate zu verlängern - die Ausbildungsmission im Irak ist auch darunter. Dann muss der Bundestag entscheiden, ob die Soldaten bleiben sollen. In der Diskussion darüber wird das Referendum sicher eine Rolle spielen - ebenso wie die Tatsache, dass der IS im Nordirak weitgehend besiegt ist.