Das S-125 „Newa“ ist ein radargeleitetes Flugabwehrraketensystem, das in den Streitkräften des Warschauer Vertrags eingesetzt wurde. Foto: privat

03.04.2021
Gunnar Kruse

Der unsichtbare Feind

Nicht nur Soldaten der Bundeswehr haben durch Radarstrahlen schwerste gesundheitliche Schäden erlitten. Auch für viele Angehörige der Nationalen Volksarmee war der Dienst an Radaranlagen mit einem hohen Risiko für Leib und Leben verbunden. Einer der schwer Erkrankten ist Hartmut Hädicke. In der Hoffnung, damit anderen betroffenen Kameraden eine Hilfestellung zu geben, erzählt er seine Geschichte.

Gut zwei Jahrzehnte hat Hartmut Hädicke bei den Luftstreitkräften/Luftverteidigung der Nationalen Volksarmee (NVA) verbracht, zuletzt als Oberstleutnant. Und nahezu die gesamte Zeit war er als Ingenieur für elektronische Anlagen der Fla-Raketentruppen einer unsichtbaren Gefahr ausgesetzt. Im Rückblick unterscheidet er nur noch zwischen intensiv und extrem.
 
Extrem, so erzählt er im Gespräch mit unserer Redaktion, sei es bei der jährlichen Ausbildung im Feldlager in Lieberose bei Cottbus gewesen. Für jeweils 14 Tage seien dort 50 Prozent der Fla-Raketenabteilungen und funktechnischen Truppen der NVA zusammengezogen worden. In der Regel diente das zur Vorbereitung des alle zwei Jahre stattfindenden Gefechtsschießens in der Sowjetunion. Wenn sich auf einer Fläche von drei, vier Quadratkilometern die halbe Luftverteidigung eines Landes inklusive der Funkmesssicherstellung versammelte, hatte das für die Soldaten deutlich sichtbare Auswirkungen. „Digitaluhren haben wir in Alu-Folie eingewickelt, die Energie der Antennen hat sie sonst alle auf Null gestellt“, erinnert sich Hädicke. „Und wenn die Antennen in Richtung der Zelte gerichtet waren, dann gingen in ihnen die Neon-Röhren an. So stark war die Strahlung.“

Doch auch im normalen Dienstbetrieb war die Technik zur Funkmess-Aufklärung gefährlich, und da vor allem das Radargerät P-15 zur Rundumaufklärung gegen tieffliegende Ziele „Das war eigentlich die heikelste Technik, weil sie auch schon älter war und oft Fehler gesucht werden mussten“, sagt Hartmut Hädicke. Die Senderöhren hinter Plexiglasscheiben hätten eine so hohe ionisierende Strahlung abgegeben, „die sah man richtig hell leuchten, wenn man in der Kabine saß und Fehler gesucht hat.“

Intensiv der Funkmessstrahlung ausgesetzt waren er und seine Kameraden, aber auch ihre Familien allerdings so gut wie immer. „Der Abstand des Komplexes zum Dienstzimmer betrug maximal 200 Meter Luftlinie“, blickt Hädicke auf seine NVA-Zeit zurück, die er fast vollständig in Bastorf, einer kleinen Gemeinde zwischen Kühlungsborn und Rerik an der Ostsee verbracht hat. Zum Wohnblock habe die Entfernung maximal 300 Meter Luftlinie betragen „Jahrein, jahraus waren wir 24 Stunden am Tag der Technik ausgesetzt.“

Die Strahlungsbelastung hat neben veralteter Technik noch einen weiteren Grund gehabt. Die Fla-Raketenstellungen der NVA sind ins Diensthabende System des Warschauer Vertrags eingebunden gewesen. Das bedeutete beispielsweise in der immer zehn Tage währenden Bereitschaftsstufe 2 nicht nur, dass die Gefechtsbesatzung rund um die Uhr immer an der Technik war: Die Zeitvorgabe zum möglichen Start einer Rakete betrug lediglich dreieinhalb Minuten. Es bedeutete auch, dass bei einer Störung der anfälligen Röhrentechnik rund um die Uhr gearbeitet wurde, um sie wieder einsatzbereit zu bekommen.

Mit der deutschen Wiedervereinigung ging für Hartmut Hädicke, der in diesem Monat 70 Jahre alt wird, der Militärdienst zu Ende. Ende 1990 legte er als Major a.D. der Bundeswehr die Uniform ab. Nach einer Umschulung zum „Datenverarbeitungsorganisator Wirtschaft“ an der Bundeswehrfachschule Gießen begann für ihn schließlich ein neuer beruflicher Weg im Krangeschäft.

Schwerwiegende Diagnose

Seine Gesundheit war jedoch angeschlagen. Bereits Ende der 90er Jahre wurde bei ihm ein bösartiger Hautkrebs unter anderem am Rücken diagnostiziert. „Da kam man schon ins Grübeln.“ Und Ende 2002, Anfang 2003 wurde ein Tumor im Dickdarm bei ihm entdeckt. Wegen dieser Erkrankung wurde er zu 80 Prozent als schwerbehindert eingestuft, doch die Gründe mussten für eine Anrechnung als Dienstbeschädigung nachgewiesen werden. Und das ist schwer, wie auch Hartmut Hädicke feststellen musste.

>> Falls Sie mehr über dieses Thema erfahren möchten: Hartmut Hädicke war auch in unserem Podcast zu Gast.

Unterstützung und Hilfe suchte er über das Internetforum „NVA-Radar“ ebenfalls betroffener ehemaliger Radarsoldaten. „Die wollten 2003 klagen, doch für mich habe ich gesagt: Das bringt nichts. Eine Klage gegen die Bundeswehr ist von vornherein zum Scheitern verurteilt“, erinnert sich Hädicke an seine damaligen Gedanken. Stattdessen habe er im März 2004 selbst den Antrag auf Anerkennung einer Dienstbeschädigung beim Wehrbereichskommando Ost gestellt. Im Mai 2005 kam dann der Bescheid: „Abgelehnt“. „Daraufhin habe ich wenig später Widerspruch eingelegt. Abgestimmt mit Thomas Viertel, dem Vorsitzenden unserer sKERH Chemnitz, habe ich ein Schreiben beigefügt, dass mich im Falle eines Rechtsstreits der Deutsche BundeswehrVerband vertritt und das Ganze wieder nach Strausberg geschickt“, sagt er. Trotz mehrfachen Nachfragens begann nun eine lange Zeit des Wartens: „Erst im Januar 2011 kam die Nachricht, dass der Bescheid von 2005 zurückgenommen wird und meine Erkrankung anerkannt wird. Da war ich erst einmal geplättet.“ Als Hauptgrund für die Anerkennung sei die extrem hohe Röntgenstrahlung am Radargerät P-15 genannt worden, an dem Hädicke gedient hatte. „Ich kenne mehrere Kameraden, die dadurch ebenfalls an Krebs erkrankt sind. Ein Großteil ist leider schon verstorben.“

Kameradschaft zählt bis heute

Doch verbittert wirkt Hartmut Hädicke nicht. Es sei eben eine andere Zeit gewesen. Für ihn und seine Kameraden sei es wichtig gewesen, die Technik trotz der teilweise bekannten Gefahren einsatzbereit zu halten. Dabei habe Kameradschaft immer eine wichtige Rolle gespielt – und das gilt immer noch. Heute engagiert sich der Major a.D. als stellvertretender Vorsitzender in der sKERH Chemnitz. „Wir sind ja fast alles Ehemalige, die in der NVA gedient haben. Da hat man viele Leute mit den gleichen Interessen, dem gleichen Schicksal. Das und die ähnlichen Vorstellungen vom Leben sorgen bei uns für einen guten Zusammenhalt.“

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