Mit den Frankfurter Dokumenten, überreicht durch die drei westlichen Militärgouverneure, begann 1948 die Arbeit des Parlamentarischen Rates. Am 12. Mai 1949 haben General Pierre König aus Frankreich, General Sir Brian Robertson aus Großbritannien und General Lucius D. Clay aus den USA in Frankfurt/Main einer Delegation des Parlamentarischen Rates das von ihnen genehmigte Grundgesetz übergeben. Foto: Picture Alliance

Mit den Frankfurter Dokumenten, überreicht durch die drei westlichen Militärgouverneure, begann 1948 die Arbeit des Parlamentarischen Rates. Am 12. Mai 1949 haben General Pierre König aus Frankreich, General Sir Brian Robertson aus Großbritannien und General Lucius D. Clay aus den USA in Frankfurt/Main einer Delegation des Parlamentarischen Rates das von ihnen genehmigte Grundgesetz übergeben. Foto: Picture Alliance

28.05.2024
Professor Dr. Rupert Scholz, Bundesminister a.D.

Eine bessere Verfassung gab es nie

Am 23. Mai feiert das Grundgesetz seinen 75. Geburtstag – ein Geburtstag von ganz besonderer Bedeutung, spiegelt er doch eine verfassungspolitische Erfolgsgeschichte wider, die in der Geschichte Deutschlands wie zum Teil auch Europas einmalig ist.

Nach dem Scheitern der Weimarer Verfassung hat Deutschland über das Grundgesetz zum ersten Mal eine ebenso stabile wie effiziente, demokratisch-freiheitliche Verfassung erhalten, die auch international zum vielfältigen Vorbild geworden ist. Nach dem Desaster der nationalsozialistischen Diktatur haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes, das heißt, der unter dem Vorsitz des späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer tagende Parlamentarische Rat, die Lehren aus dem genannten Desaster ebenso wie aus dem Scheitern der Weimarer Verfassung gezogen. Viele Konstruktionsfehler der Weimarer Verfassung, die freilich ebenso eine demokratische Verfassung gewesen ist, wurden beseitigt, beziehungsweise in bessere und effizientere Bahnen gelenkt.

Das Grundgesetz findet seine maßgebenden Grundwerte in der Bestimmung des Artikel 20: Demokratie, Rechts- und Sozialstaat sowie Bundesstaatlichkeit. Diese Grundmaximen der deutschen Verfassungsordnung wurden gemäß Artikel 79 unter den definitiven Unabänderlichkeitsvorbehalt gestellt. Auch dies hat maßgebend zur Stabilität und Effizienz unserer Verfassung beigetragen.

Strikten Vorbehalt der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie

Demokratie unter dem Grundgesetz heißt Bekenntnis zur repräsentativ-parlamentarischen Demokratie beziehungsweise zur parteienstaatlichen Demokratie (Artikel 21). Plebiszitäre Elemente, wie mitunter politisch gefordert, hat das Grundgesetz aus gutem Grund nicht aufgenommen. Es bleibt beim strikten Vorbehalt der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. Auf der anderen Seite steht die parteienstaatliche Demokratie, die man in Weimar noch vielfältig vergessen oder missachtet hatte. Gemäß Artikel 21 Grundgesetz sind die Parteien die maßgebenden Organisatoren der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie.

Sie stehen aber unter dem strikten Vorbehalt ihrer eigenen Verfassungstreue. Ist eine Partei verfassungswidrig, verstößt sie in aggressiv-kämpferischer Weise gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, so kann sie vom Bundesverfassungsgericht verboten werden, wie es in den frühen 1950er Jahren bereits in den Fällen SRP und KPD folgerichtig geschehen ist.

Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit stehen im vielfältigen Kontext und ergänzen einander in systemgerechter Weise. Dieser Verbund von Rechts- und Sozialstaatlichkeit schuf die Grundlagen für die soziale Marktwirtschaft, die wiederum zum sogenannten deutschen Wirtschaftswunder führen sollte. Rechtsstaatlichkeit heißt Garantie bürgerlicher Freiheiten in strikter Form – letztlich abgesichert vor allem über den sogenannten Wesensgehaltsvorbehalt des Artikel 19 Absatz 2 Grundgesetz.

Sozialstaatlichkeit bedeutet soziale Sicherung und auch maßgebende Grundlagen für staatliche Lenkung wie Steuerung von Wirtschaft und gesellschaftlichem Leben. Beide Grundprinzipien gehören in diesem Sinne zusammen und ergänzen einander in konsequenter Weise.

Ukraine-Konflikt hat uns das schlimme Gegenteil gelehrt

Demokratische Rechtsstaatlichkeit bedeutet auch wehrhafte Demokratie. Das heißt, die innere wie äußere Sicherheit werden vom Grundgesetz ausdrücklich garantiert. Hier stellen sich heute allerdings, wie jedermann weiß, im Zusammenhang mit der äußeren Sicherheit grundlegende Reformprobleme. Die Bundeswehr ist bekanntlich kaum noch verteidigungs- und bündnisfähig. Hier hat man geglaubt, 1990 nach der Wiedervereinigung, dass es in Europa keine Konflikte, keine äußerlichen Gefahren für Deutschland mehr geben würde.

Der Ukraine-Konflikt hat uns das schlimme Gegenteil gelehrt. Manche haben damals, nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes von der sogenannten Friedensdividende gesprochen, die uns angeblich auf Dauer äußere Sicherheit garantiere. Das Gegenteil ist bekanntlich, wie wir heute wissen, der Fall. Im Übrigen: Jeder souveräne Nationalstaat ist von vornherein und auf Dauer darauf angewiesen, über ein intaktes und funktionstüchtiges militärisches Potenzial die eigene äußere Sicherheit auf Dauer zu gewährleisten.

Das Bekenntnis zur Bundesstaatlichkeit entspricht der deutschen Geschichte und war die richtige Antwort auf die totalitären Einheitsstaatlichkeitsvorstellungen sowohl des Nationalsozialismus wie in der ehemaligen DDR. Bundesstaatlichkeit bedeutet Vielfalt, mehr dezentrale Demokratie und damit auch mehr bürgerliche Freiheit. Dezentralisation ist für jeden funktionstüchtigen Staat ein echtes richtunggebendes Vorbild. Dem ist durch das Grundgesetz in zunächst vollkommener Weise genügt worden, was allerdings nichts daran ändert, dass gerade auch unsere bundesstaatliche Ordnung inzwischen manche substanzielle Reform-Erfordernisse aufwirft

Rechtsstaatlichkeit bedeutet des Weiteren unbedingter Primat der bürgerlichen Freiheiten. In diesem Sinne ist der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes (Artikel eins ff.) ebenso strikt wie vorbildlich. Die Grundrechte können naturgemäß in der einen oder anderen Weise, wenn dies erforderlich ist, auch eingeschränkt werden. Die Grenze für alle Einschränkungen bildet aber die Wesensgehaltsgarantie des Artikel 19, Absatz 2, Grundgesetz.

Im Jahre 1949 verstand man das Grundgesetz im Hinblick auf die deutsche Teilung durchaus und sicherlich zutreffend zunächst als ein Provisorium, das heißt als ein Verfassungssystem, das zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung auf den Prüfstand zu stellen war. Dies formulierte ausdrücklich der Vorbehalt des Artikel 146 Grundgesetz alter Fassung. Mit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 hat sich dies alles aber erledigt.

Einigungsvertrag von 1990

Parallel zum Grundgesetz wurde in der DDR 1949 auch eine Verfassung verabschiedet, die allerdings nichts anderes als eine totalitär-kommunistische Diktatur begründen sollte und begründet hat. Über die großartigen Freiheitsentwicklungen in der ehemaligen DDR ist es dann gelungen, nicht nur in den neuen Bundesländern die föderative Ordnung wieder aufzurichten, sondern vor allem ebenso den Weg zu einer freiheitlichen Demokratie zu finden. Das Ganze wurde dann im Einigungsvertrag von 1990 niedergelegt.

Hier hat sich eine inzwischen außer Kraft getretene Bestimmung, nämlich der frühere Artikel 23 Grundgesetz, außerordentlich bewährt. Denn diese Bestimmung eröffnete für Teile, die nicht zur alten Bundesrepublik gehörten – das heißt zunächst das Saarland und dann später die DDR – das Recht, dem Grundgesetz und damit der Bundesrepublik Deutschland beizutreten. Dies ist bekanntlich in beiden genannten Fällen geschehen. Hiermit wurde das Grundgesetz endgültig zur gesamtdeutschen Verfassung. Das Stadium des Provisoriums war insoweit überwunden.

Verfassungsrechtlich wie verfassungspolitisch optimistisch in die Zukunft schauen

Das Ziel der deutschen Wiedervereinigung wurde nicht nur vom Bundesverfassungsgericht mit Nachdruck betont. Das Bundesverfassungsgericht hat immer am Ziel der deutschen Wiedervereinigung und damit an der Identität deutscher Nationalstaatlichkeit festgehalten. So gehört es zu den großen Glücksfällen der deutschen Geschichte, dass es 1990 tatsächlich zur deutschen Wiedervereinigung kam. Bei alledem hat das Grundgesetz eine maßgebende Rolle gespielt. Nur über seine Maximen ist es gelungen, auch eine wahrhaftig funktionierende Verfassungseinheit für ganz Deutschland zu schaffen.

Nach 75 Jahren Grundgesetz haben wir allen Grund, auch verfassungsrechtlich wie verfassungspolitisch optimistisch in die Zukunft zu schauen. Eine bessere Verfassung hat es in der deutschen Geschichte noch nie gegeben und deshalb gilt es immer, sich nicht nur daran zu erinnern, sondern dies auch in Politik wie Recht sorgfältig zu bewahren.

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