Das Multi-Domain Battlefield bindet die Dimension Weltraum in den Einsatzraum der Streitkräfte ein. Foto: U.S. Army illustration

01.11.2022
Von Frank Jungbluth

„Wir müssen deutlich schneller als der Gegner sein, um Wirkung zu erzielen“

Oberstleutnant Michael Jappsen und Korvettenkapitän Alexander Heinrich sind Teilnehmer des Lehrgangs Generalstabs- und Admiralsstabsdienst National 2020. Das Thema des LGAN: „Krieg der Zukunft?! Operative Herausforderungen des Multi-Domain Battlefield für die Bundeswehr“. Im Interview mit unserem Chefredakteur Frank Jungbluth erklären die beiden Offiziere, was es mit dem Multi-Domain-Battlefield auf sich hat, wie der Krieg der Zukunft aussieht und ob davon schon etwas im aktuellen Krieg in der Ukraine zu beobachten ist.

Wenn Sie auch weniger erfahrenen Kameradinnen und Kameraden das Multi-Domain-Battlefield erklären müssten, was könnten Sie in drei Sätzen sagen? Wie funktioniert das eigentlich und was kommt da auf uns zu?

Alexander Heinrich: Das Multi-Domain-Battlefield ist qua Definition der Einsatzraum der Streitkräfte, der neben den klassischen Dimensionen Land, Luft und See den Cyber- und Informationsraum, insbesondere die Dimension Weltraum gleichrangig mit einbindet. Hier geht es um den Einsatz von Streitkräften unter synchronisierter Führung von allen Waffensystemen in nahezu Echtzeit, um ein bestimmtes Operationsziel zu erreichen. Der Wesenskern des Multi-Domain-Battlefield ist der gleichzeitige oder zumindest kurz aufeinander gestaffelte Zugriff auf Sensoren und Effektoren, um lokal und temporär Informations- und Wirkungsüberlegenheit zu erreichen. Es geht um die Konzertierung von Operationen, wie gesagt in Echtzeit.

Kann man sagen, dass es so etwas von der Art schon gegeben hat? Ist das alles graue Theorie oder gibt es bewaffnete Konflikte, in denen man schon ansatzweise gesehen hat, was auf uns zukommt in Zukunft, Stichwort: Krieg der Zukunft?
Alexander Heinrich: Das ist schwer zu sagen. Man könnte vielleicht eine Anleihe nehmen bei dem zumindest außerhalb der sicherheitspolitischen Blase unbekannten Bergkarabach-Konflikt 2020, bei dem in der Operationsführung sehr erfolgreich Drohnen integriert und im Prinzip von Kräften am Boden koordiniert wurden. Diese wäre nur „Joint“, noch nicht Multi-Domain. Das würde bedeuten, dass ein Führer vor Ort Zugriff hat auf alle Dimensionen hat.

Michael Jappsen: Im Rahmen unserer Arbeit haben wir unsere eigene Definition für das Multi-Domain-Battlefield erarbeitet, das Multi-Domain-Environment und die Multi-Domain-Operations. Das Multi-Domain-Battlefield haben wir aufgeteilt in die klassischen Dimensionen Land, Luft und See, erweitert um den Cyber- und Informationsraum sowie den Weltraum. Die Operationen finden hier im Vergleich zum klassischen Gefecht wesentlich agiler statt und erfordern eine Synchronisation der einzelnen Elemente. Man befindet sich in einer sehr schnell verändernden Situation, in der man sich abstimmen muss, um schließlich seine Wirkung auch zur Geltung zu bringen.

Wie ist der LGAN 2020 überhaupt auf das Thema gekommen?

Michael Jappsen: Das ist schnell beantwortet. Der Generalinspekteur hat uns das Thema ins Lastenheft geschrieben.

Alexander Heinrich: Im Prinzip ist das Thema ein bundeswehrbezogenes fachliches Thema. Das Thema Multi-Domain-Operations wird im NATO-Rahmen, insbesondere in den USA, schon länger behandelt. Vom Begriff her beschreibt Multi-Domain-Operations die Antwort der Amerikaner auf Anti-Access/Area-Denial, wie wir es zum Beispiel im Oblast Kaliningrad sehen oder im Südchinesischen Meer. Es geht darum, dass potenzielle Gegner verschiedene Szenarien aufgebaut haben mit einer Vielzahl an verschiedenen Flugkörpertypen, mit unterschiedlichen Reichweiten, die es modernen Luft- und Seestreitkräften sehr schwer bis unmöglich machen, in diesem Bereich überhaupt zu operieren, ohne massive Verluste einzukalkulieren.

Stichwort: Zeitenwende, Stichwort: Russlands Überfall auf die Ukraine. Mit ihrer Facharbeit schauen Sie in die Zukunft. Aber wenn sie heute auf den Ukrainekrieg schauen, kann man angesichts der Erfolge mit herkömmlichen Panzern, mit Präzisionsartillerie, auch mit Drohnen, sagen, dass die Zukunft des Multi-Domain-Battlefield in Vollendung noch weit weg ist? Oder ist das schon ein Vorgeschmack?

Michael Jappsen: Ich glaube, „Vorgeschmack“ trifft es ganz gut. Wenn man sich den „Uber-Warfare“ anschaut, wo man durch die Einwahl von möglichen Zielen auf die App zurückgreift, dann dementsprechend das nächste Wirkmittel abgerufen wird und zur Wirkung kommt, dann kommt das dem Multi Domain Battlefield schon nahe. Zum Stichwort Drohnen: Es ist nicht mehr zwingend, dass es ein Hochwert-Asset sein muss, das man über Jahrzehnte beschaffen oder testen muss. Es können auch handelsübliche Systeme sein, die ich mir sogar im Baumarkt besorgen kann und dann entsprechend zur Wirkung bringe. Wir sehen also in diesem Krieg erste Anzeichen der Zukunft, die sich auf einem klassischen Gefechtsfeld abspielen.

Alexander Heinrich: Das Thema Drohnen beschäftigt uns in der Operationsführung allerspätestens seit dem Bergkarabach-Konflikt 2020, wo wir sehen, welche Überlegenheit Drohnen bringen können. Ich glaube, unser Verständnis als Bundeswehr ist es noch, Drohnen als Ersatz für Assets der Luftwaffe im Sinne der Aufklärung zu denken. Wir sagen aber: Im Prinzip könnte jede Einheit Drohnen sinnvoll in die Operationsführung reintegrieren, auch die aus dem Baumarkt, und zwar über alle Domänen hinweg, die die Bundeswehr hat, also über den FAWU-Verbund der Führung, Aufklärung, Wirkung und Unterstützung. Auf keinen Fall sehen wir gerade den Erfolg herkömmlicher Waffensysteme, zumindest nicht auf russischer Seite. Auf den ersten Blick ähnelt es dem klassischen Kriegsbild, aber das ist es nicht. Insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass die Russische Föderation diesen Krieg eigentlich schon 2014 begonnen hat. Den logischen Bruch zwischen 2014 und 2022, den viele im Westen sehen, den gibt es unserer Überzeugung nach nicht. Der zweite Punkt: Die Ukraine bringt eben nicht nur einfach westliche Waffen ein, zum Beispiel Artilleriesysteme, um die russischen Streitkräfte immer wieder taktisch zu schlagen. Sie ist auch hochgradig innovativ in der Art und Weise, wie sie die Waffen einsetzt. Beim appbasierten Battle-Management-System, beim „Uber-Warfare“, geht es vonseiten der Ukraine wahnsinnig schnell, wir reden hier von einigen Sekunden bis wenigen Minuten, die zwischen Aufklärung eines Ziels und Bekämpfung eines Ziels vergehen.

Michael Jappsen: Dass dies innerhalb von kürzester Zeit möglich ist, zeigt sich im Cyber- und Informationsraum. Alles hängt davon ab, dass ich eine stabile Datenübertragung habe. Viele dachten, der massive Aufmarsch Russlands von Weißrussland aus und aus dem Donbass heraus würde mit personeller und materieller Überlegenheit den russischen Sieg sicherstellen. Wir erleben jetzt genau das Gegenteil.

Technik, wie die Battle-Management-App ist kriegsentscheidend?

Michael Jappsen: Insbesondere die ukrainischen Streitkräfte gehen dort etwas einfacher, pragmatischer heran. Deren App ist abseits von diversen Vorgaben zum Thema IT-Sicherheit entstanden. Das wäre hierzulande nicht so einfach. Ein anderes Beispiel ist die Artilleriemunition 155 mm. Sie weist in den westlichen Streitkräften zwar ein einheitliches Kaliber auf, aufgrund der Zündzeitprogrammierung, die beim Verschuss erfolgt, es kann aber eben nicht einfach eine amerikanische Artilleriegranate in einer deutschen Panzerhaubitze 2000 verwendet werden. Die Ukrainer haben es in kurzer Zeit hinbekommen, dass sie sämtliche Munition 155 Millimeter quer über die Waffensysteme verwenden können. Und da darf man sich wirklich fragen, wie lange unsere Rüstungsprozesse bräuchten, um ein ähnliches Ergebnis zu erzielen.

Halten wir fest: schnelle, wandlungsfähige Armee schlägt deutlich überlegenen Gegner. Das ist gerade in der modernen, digitalen Welt nicht mehr die Ausnahme.

Alexander Heinrich: Das können wir so unterstreichen.

Cyber- und Weltraum sind die neuen Dimensionen der Kriegsführung. Wie kriegsentscheidend werden die sein? Sie sprechen in Ihrer Arbeit von Siegfähigkeit. Wenn man bedenkt, dass Sie eben auch die klassischen Gefechtsfelder Land, Luft und See deutlich beeinflussen werden.

Michael Jappsen: Wir dürfen sie auf jeden Fall nicht isoliert betrachten. Das Klassische ist nicht tot, bezogen auf den Ukrainekonflikt, weder auf russischer noch auf ukrainischer Seite. Aber Cyber- und der Weltraum haben natürlich auch Schnittstellen mit den klassischen Gefechtsfeldern. Wenn wir das Ganze vor dem A2/AD-Konzept betrachten, werden sie zunehmend Einfluss haben. Als Beispiel hier das weitreichende Raketensystem HIMARS: Wenn ich weit schieße, muss ich entsprechend die Ziele aufklären können, ich muss die Zieldaten in irgendeiner Form weitermelden können. Es bringt mir nichts, wenn ich vorne einen Beobachter habe, der zwar das Ziel sieht, aber ich habe am Ende des Tages keine Wirkung dorthin.

Alexander Heinrich: Ergänzt um die A2/AD-Wirkverbünde: Wenn ich diese Wirkverbünde bekämpfen möchte, muss ich Welt- und Cyberraum mitdenken. Wir haben uns auch die Frage gestellt, wie wir darauf als Bundeswehr, aber auch gesamtstaatlich, vorbereitet sind. Man sollte den Cyber- und Informationsraum nicht einfach abtun, nur weil die russischen Streitkräfte wenig unternommen haben im aktuell laufenden Angriffskrieg auf die Ukraine. Den Informationsraum dominiert Russland unserer Überzeugung nach in großen Teilen auch bis tief in unsere Gesellschaft hinein noch immer. Die Kreise, die auch in Deutschland alles glauben, was dort gesendet wird, die gibt es ja. Und wer glaubt, dass ein Hacker auf Knopfdruck, zuverlässig und ad hoc alle Panzer am Losfahren hindern können muss, um Wirkung zu erreichen, der sollte sein Verständnis von Cyberoperationen wahrscheinlich genauso dringend überdenken wie derjenige, der denkt, dass es absolut undenkbar wäre, dass einem Hacker genau das gelingen kann.

Stichwort Kritische Infrastruktur. Man kämpft in Deutschland gerade den Kampf zwischen konventioneller Energieversorgung und moderner Energieversorgung, also fossilfreier, und wenn man sich vorstellt, in der Ukraine sind 80 Prozent aller Windkraftanlagen und der Fotovoltaikanlagen zerstört worden von den Russen, braucht die Energiewende nicht dann einen besonderen Schutz?

Michael Jappsen: Eine Energiewende bringt auch Vorteile: Wenn ich mehr Windkraftanlagen und mehr Fotovoltaik habe, ist meine Energieversorgung insgesamt deutlich dezentraler aufgestellt. Dementsprechend schwer fällt es dem potenziellen Gegner, sie gezielt zu treffen. Auf der anderen Seite potenziere ich so die Möglichkeiten, wo ein Gegner ansetzen kann, sei es nun mit physischer Wirkung oder im Cyberraum, indem er die Anlagen hackt. Wir haben das in der Vergangenheit erlebt, dass aufgrund einer Funktionsstörung im Satelliten die Wartung von tausenden Windkraftanlagen im ganzen Land über Wochen nicht möglich war.

Kommen wir bei aller Digitalisierung und Cyber auf den Menschen. Sie haben diesen in Ihrer Arbeit als „sechste Dimension“ beschrieben. Der Mensch, der Akteur, aber auch Ziel ist. Es geht auch um ethisch-moralische Bedenken, was die Optimierung des Menschen, des Soldaten am Ende angeht. Wie würden Sie diesen Zwiespalt beschreiben?

Michael Jappsen: Wenn wir einen Gegner haben, der solche Möglichkeiten moralisch unproblematisch für sich selbst gegen uns nutzt, müssen wir uns auch Gedanken machen, wie wir uns dagegen schützen können. Das kann sein durch die Nutzung von Human Enhancement geschehen, was den Menschen selbst besser macht, oder durch Nutzung von KI, in welcher Art auch immer. KI meint dabei nicht den viel beschworenen autonomen Killer-Roboter meint, sondern künstliche Intelligenz in jeder Form als Unterstützung. Das kann vom einzelnen System sein, das mich berät, zum Beispiel in der Stellungswahl, wo ich mein Fahrzeug am besten platziere, damit es die beste Wirkung hat, oder auch im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses. Da dürfen wir, da darf die Politik die Debatte nicht scheuen. Wir müssen sie frühestmöglich anstoßen, damit wir dann, wenn es um die Beschaffung dieser Systeme geht, vor der Welle sind, weil wir danach wissen, was wir wollen, was wir auch moralisch-ethisch vertreten können.

Alexander Heinrich: Insbesondere der Hinweis auf die Politik, auf die Gesellschaft an sich, ist hier natürlich richtig. Wir sollten auf keinen Fall die Debatte scheuen oder Forschung in diesen Themenfeldern verdammen. Wir sehen, dass beispielsweise viele Universitäten über Zivilklauseln verfügen und an Dual-Use-Produkten letztendlich nicht forschen dürfen oder nicht forschen wollen. Wenn man dann aber sieht, was alles Dual-Use ist in der Technologie, dann muss man sich fragen: Wo ist da noch das Innovationspotenzial? Man muss sich dieser Diskussion stellen, und ich denke, diese Botschaften auch in den politischen Raum einbringen. Natürlich ist man schnell in einem Zwiespalt, wenn man auf der einen Seite Künstliche Intelligenz oder Bio-Enhancement als Technologie hat und es letztlich um die Frage geht, wie man Menschen im Verbund mit Maschinen schneller, effizienter und letzten Endes auch tödlicher machen kann. Auf der anderen Seite sollte uns Sorgen machen: Wie verhalten wir uns, wenn KI am Ende etwas tut, was wir gar nicht wollten oder eine falsche Entscheidung trifft? Wenn potenzielle Gegner, die Autokratien sind, vielleicht gerade diese Technologien nutzen, um ihre Werte weltweit durchzusetzen, und nicht unsere, dann gerät unser ethisch-moralischer Kompass schnell an seine Grenzen. Wir haben genau das versucht herauszuarbeiten und Lösungen zu finden, wie man damit umgehen könnte.

Was braucht die Bundeswehr, wenn sie das digitale Multi-Domain-Battlefield betreten will und auch siegfähig sein soll?

Michael Jappsen: Wir haben im Rahmen der Arbeit am Ende über hundert Lösungsideen für den Generalinspekteur erarbeitet. Sie reichen von der simplen Beschaffung von Waffensystemen über gravierende Änderungen im Verständnis unserer Streitkräfte, unserer Prozesse bis hin zu den eben angesprochenen politischen Forderungen, die wir als Bundeswehr zwingend einbringen sollten. Wir entwickeln zwei Kernbotschaften: Neben all der Technologie ist es zwingend notwendig, dass wir in der Lage sind, schneller als ein potenzieller Gegner zu sein, um Wirkung erzielen zu können. Dafür brauchen wir zielgerichtete Informationsverarbeitung aus allen Wendedaten, die dem Führer vor Ort gut aufbereitet in Echtzeit zur Verfügung stehen. Wir erleben eine Informationsüberforderung oder einen Informations-Overflow aktuell. Der Führer vor Ort braucht aber bruchfrei Zugriff auf die Truppe und ihre Fähigkeiten aus allen Dimensionen, um Informationen nutzen zu können. B): Am Ende müssen Streitkräfte effizient kämpfen können. Es nützen mir die besten Fähigkeiten nichts, wenn mir die Munition ausgeht, weil sie zu teuer für die Bevorratung war, oder zu komplex ist, um die Produktion neuer Munition ad hoc hochzufahren. Denn auch das erleben wir aktuell: Dem Westen geht über kurz oder lang die Munition aus, die er noch mit in die Ukraine schicken kann.

Zurück zur Zeitenwende, zum Epochenbruch, der ja auch – das hört man vom GI und anderswo – ein neues Selbstverständnis für die Bundeswehr prägen wird beziehungsweise erforderlich macht. Was hat sich aus Ihrer Sicht vor allem verändert, was das Selbstverständnis, das Mindset angeht?

Michael Jappsen: Das Mindset hat sich natürlich gerade bei unserem Lehrgang von 120 Teilnehmern verändert, geprägt durch die Arbeit, aber auch durch das Erleben dessen, was sich in der Tagespolitik ereignet. Das ist von Vorteil, weil wir alle es als Aktivposten mitgenommen haben, weil wir in den nächsten 20,30 Jahren diese Armee mitgestalten dürfen. Die Arbeitsweise im Lehrgang, in der Akademie, die muss dem noch folgen. Ich bin selbst an der Führungsakademie vor Ort, im Rahmen der „Faculty Landstreitkräfte“. Wir versuchen jetzt, gewisse Erkenntnisse aus dem Ukrainekonflikt oder aus unserer Arbeit in die Ausbildung zu implementieren. Aber dies braucht noch Zeit.

Alexander Heinrich: Aus Sicht der Arbeit hat es natürlich direkt und unmittelbar Konsequenzen. Wir waren mit unseren Gedanken im Februar schon sehr weit und mussten die Folgerungen, die wir getroffen haben, noch einmal auf den Prüfstand stellen. Aber auch hier die Erkenntnis: Viel mussten wir am Ende gar nicht verändern, insbesondere unser Baltikumszenario, das wir entwickelt hatten, war eine gute Basis für eine Analyse, und viele unserer Annahmen haben sich im Februar eigentlich bestätigt. Man darf das aber auch nicht überbewerten. Wir haben in unserer Arbeit den Krieg der Zukunft gedacht, der auch für die russischen Streitkräfte in zehn, 15 Jahren anders aussehen wird als er heute aussieht. Wir haben sämtliche Probleme, die die Bundeswehr hat und deren Lösung Basis für den Erfolg in der Zukunft ist, mal ins Schlaglicht gerückt.

Sie haben gerade den Lehrgang absolviert. Die Frage wäre da, ob man für den Dienst als Stabsoffizier auch seit dem 24. Februar ein neues, anderes Selbstverständnis braucht in dieser speziellen Verwendung. Anders ausgedrückt, muss sich dies auch verändern, anpassen an die neuen Zeiten?

Michael Jappsen: Wir haben in unserer Arbeit klar hervorgehoben, dass „Führen mit Auftrag“ nach wie vor die zweckmäßigste Art zu führen ist, weil sie schnell auf sich verändernde Lagen reagieren kann. Da die Streitkräfte der Bundeswehr dieses Prinzip mit der Muttermilch aufgesogen haben und leben, hat sich dahingehend nichts verändert. Wir haben das Baltikumszenario mitbetrachtet. Vor diesem Hintergrund würde ich uns Stabsoffiziere gut aufgestellt sehen, was das Selbstverständnis angeht, erweitert einmal um die Erfahrung des Krieges in der Ukraine und die Beschäftigung damit im Detail.

Alexander Heinrich: Wir sollten da nicht zu selbstgefällig sein: Auch wenn „Führen mit Auftrag“ die absolut richtige Philosophie ist: Auch in der Bundeswehr gibt es genügend Prozesse, die als heilig gelten und die wenig bis keinen Mehrwert zur Verteidigungsbereitschaft des Landes leisten. Der ein oder andere Halter von Vorschriften könnte die Zeitenwende jetzt nutzen und als Chance begreifen, um alte Zöpfe abzuschneiden, und proaktiv mit der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte zu argumentieren, sich also die Frage zu stellen: Muss jeder Prozess, so wie er ist, in der Zerfaserung über viele verschiedene zuständige Stellen wirklich so bleiben oder kann er letztendlich nicht doch effizienter gestaltet werden? Das ist eine Frage, die man sich offenbar bei den ukrainischen Streitkräften auch gestellt hat. Man hört, dass dort auch „Führen mit Auftrag“ ein wesentlicher Bestandteil geworden ist, der auch hilft, denn die russische Armee hat ja noch das klassische Prinzip. Man wartet dort auf die Befehle, während die anderen durch „Führen mit Auftrag“ schon weiter sind.

Michael Jappsen: Wir sind, was das Führungsverständnis angeht, sehr gut aufgestellt. Wenn ich in Zukunft operieren soll und dann doch keine Datenanwendung mit meinen modernen Waffensystemen habe, dann ist diese Führungsphilosophie genau richtig, um trotzdem unseren Auftrag zu erfüllen.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick