Ein ukrainischer Artillerie-Soldat mit einer 155mm-Granate: Mehr als 800.000 Schuss haben die USA bereits in das Kriegsgebiet geliefert, nun werden die eigenen Bestände knapp. Foto: Ukrainisches Verteidigungsministerium

01.09.2022
Von Yann Bombeke

Nach sechs Monaten Krieg in der Ukraine: Munitionsbestand „unangenehm niedrig“

Der Westen hat beträchtliche Mengen Waffen und Munition an die Ukraine für ihren Kampf gegen den russischen Aggressor geliefert – nun werden die eigenen Bestände knapp. Doch auch Russland hat mit Schwierigkeiten beim Nachschub mit Material zu kämpfen.

Die ukrainischen Streitkräfte sind im Süden des Landes Ende August in die Offensive gegangen – mit welchem Erfolg, ist bislang unklar. Die ukrainischen Behörden haben eine Informationssperre verhängt, während die russische Seite von einem Scheitern des Vorstoßes auf die besetzte Stadt Cherson und von hohen ukrainischen Verlusten spricht, ohne jedoch Belege zu liefern.

Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, will die gesamten besetzten Gebiete befreien – einschließlich der bereits 2014 von Russland annektierten Krim. Ob die Offensivaktionen im Süden nun der Auftakt zur versprochenen Kampagne sind, lässt sich noch nicht abschätzen. Fakt ist aber: Wenn die Ukraine größere Offensivoperationen durchführen will, ist sie auf weitere Waffenlieferungen aus dem Westen angewiesen – und zwar in noch größerem Umfang, als dies bislang der Fall ist. Und da liegt das Problem: Viele westliche Nationen kommen jetzt schon ans Limit, wenn sie die Einsatzbereitschaft der eigenen Streitkräfte aufrechterhalten wollen.

Die Vereinigten Staaten waren seit Kriegsbeginn am 24. Februar der größte Waffenlieferant für die Ukraine: Material im Wert von 14 Milliarden Dollar wurde in den vergangenen Monaten ins Kriegsgebiet verschifft. Neben HIMARS-Raketenwerfern, Haubitzen und Panzerabwehrwaffen wurden auch mehr als 800.000 Schuss 155mm-Artillerie-Munition an die Ukraine geliefert – zum großen Teil aus Beständen der US-Streitkräfte. Einem Bericht des „Wall Street Journal“ zufolge warnen nun US-Beamte davor, dass die Einsatzbereitschaft der eigenen Streitkräfte gefährdet sein könnte, so stark seien die Munitionsbestände erschöpft. „Unangenehm niedrig“ sei der Munitionsbestand in den vergangenen Wochen geworden, so ein US-Verteidigungsbeamter. Kritisch sei dies allerdings noch nicht, da die Vereinigten Staaten aktuell nicht in einem größeren militärischen Konflikt verwickelt seien. Die Industrie ist jedoch derzeit nicht in der Lage, die Bestände in dem Tempo wieder zu befüllen, in dem sie geleert werden.

In weiteren Berichten heißt es, dass es auch bei der Produktion der Präzisionsmunition für die HIMARS-Raketenwerfer, von denen die USA bislang 16 Stück an die Ukraine geliefert haben, hakt. Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte zu n-tv: „Die Produktion der HIMARS-Munition, die die Amerikaner an die Ukraine geliefert haben und noch liefern, kommt allmählich an die Grenzen der eigenen Kapazitäten.“

Lambrecht: „Kommen an die Grenzen“

In Deutschland war es Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die vor wenigen Tagen sagte, dass die Bundeswehr kaum noch weitere Waffen an die Ukraine abgeben könne. „Ich muss zugeben als Verteidigungsministerin, (…) da kommen wir an die Grenzen dessen, was wir aus der Bundeswehr abgeben können“, wird Lambrecht von n-tv zitiert. Die Bundeswehr müsse die Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten können, sagte die Ministerin am Rande der jüngsten Kabinettsklausur in Meseberg.

Deutschland hat bislang aus Bundeswehrbeständen unter anderem zehn Panzerhaubitzen und drei Mehrfachraketenwerfer MARS an die Ukraine abgegeben. Aber auch Munition wurde geliefert: 10.500 Stück 155mm-Artillerie-Geschosse sind es laut der offiziellen Liste der Bundesregierung, weitere Abgaben sind geplant. Das ist zwar weit entfernt von den Stückzahlen, welche von den USA geliefert wurden, aber es ist kein Geheimnis, dass die Munitionsbestände der Bundeswehr nicht wirklich üppig sind.

Ein Problem, mit dem alle westlichen Unterstützernationen der Ukraine konfrontiert sind: Nirgends wurde auf Kriegswirtschaft umgestellt. Die Industrie ist gar nicht in der Lage, die Stückzahlen zu produzieren, die erforderlich sind, um die eigenen Bestände nach umfangreichen Rüstungsabgaben schnell wieder aufzufüllen.

In Russland werden die Präzisionswaffen knapp

Doch auch Russland hat mit Problemen zu kämpfen. Zwar sind die Depots mit konventioneller Munition wohl noch gut gefüllt, was auch jetzt General Eberhard Zorn gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters bestätigte. So sei Russland in der Lage, täglich 40.000 bis 60.000 Schuss Artillerie-Munition an den Fronten der Ukraine abzufeuern. Aber: „Diese Munition ist in Teilen sehr alt und unpräzise, aber genau deshalb erreicht sie so hohe Schäden an der zivilen Infrastruktur.“

Knapp wird allerdings auch in Russland vor allem Präzisionsmunition. Die russischen Streitkräfte haben schon einen beträchtlichen Anteil ihrer gelenkten Raketen verfeuert und die heimische Produktion kommt bei den Nachlieferungen kaum nach, wie etwa das US-Magazin „Newsweek“ berichtet. Grund sind auch die Sanktionen des Westens, es fehlen Komponenten und Ersatzteile. Zudem herrscht ein Mangel an gepanzerten Fahrzeugen. Tausende sind im Krieg, der jetzt schon seit über einem halben Jahr tobt, zerstört worden. Und auch hier fehlen Ersatzteile, um beschädigte Kampf- oder Schützenpanzer zu reparieren. Experten vermuten laut „Newsweek“, dass Russland am Ende des Jahres das Material ausgehen könnte.

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