In der Region Cherson überprüfen ukrainische Soldaten Mitte Oktober eine eingenommene russische Stellung. Beobachter rechnen mit einer bevorstehenden größeren Offensive. picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Leo Correa

19.10.2022
Von Yann Bombeke

Spekulationen über bevorstehende ukrainische Offensive: Cherson wird evakuiert, Putin verhängt Kriegsrecht

In den völkerrechtswidrig annektierten Gebieten wird das Kriegsrecht ausgerufen, Zivilisten sollen Cherson verlassen, ein russischer General äußert sich außergewöhnlich pessimistisch. Im Süden der Ukraine könnte es in den kommenden Tagen zu einer größeren ukrainischen Offensive kommen.

Was passiert zurzeit in der Region Cherson im Süden der Ukraine? Der Bezirk mit der gleichnamigen Großstadt ist seit März von russischen Truppen besetzt. Nun spricht der neue Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte von „schwierigen Entscheidungen“, die bevorstehen könnten. Zudem läuft seit den frühen Morgenstunden eine von Russland initiierte Evakuierungsoperation: Die Rede ist von bis zu 60.000 Zivilisten, die innerhalb der kommenden sechs Tage aus der Stadt gebracht werden sollen. Russische TV-Stationen zeigen Bilder von Menschen, die an Fähranlegern auf ihren Abtransport warten sollen. Wie viele Menschen sich in der Stadt aufhalten, ist unklar. Vor dem Krieg zählte Cherson rund 290.000 Einwohner.

Heute verhängte Russlands Präsident Wladimir Putin dann auch noch das Kriegsrecht über die vier illegal annektierten Provinzen Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk. Damit erhalten die russischen Besatzungsbehörden erweiterte Machtbefugnisse. Bewohner können zu Arbeitseinsätzen herangezogen oder an Reisen gehindert werden. Möglich sind nun auch die Einführung von Militärzensur und das Abhören von Telefonaten.

In russischen Blogs ist von heftigen Gefechten die Rede, die seit den frühen Morgenstunden in der Region Cherson toben sollen. Hat die lange angekündigte, große ukrainische Offensive zur Befreiung von Cherson begonnen? Von ukrainischer Seite ist nichts zu hören – weder von offiziellen Stellen noch von den vielen Bloggern, die sonst eifrig Informationen in den sozialen Medien teilen. Seit Tagen wird dazu aufgerufen, keine Informationen über die laufenden militärischen Operationen im Süden zu teilen – und die ukrainische Community hält sich offensichtlich weitgehend daran.

Russische Kanäle werten das Schweigen bereits als Zeichen für das Scheitern der Offensivoperationen der ukrainischen Armee im Süden der Ukraine. Doch bei der erfolgreichen Offensive im Spätsommer in der Region Kharkiv und beim darauffolgenden Vorstoß auf die Stadt Lyman im Nordosten des Landes hatte die ukrainische Führung ebenfalls absolute Funkstille angeordnet.
 
Dass sich das Kriegsgeschehen aus russischer Sicht aber nicht gerade nach Plan entwickelt, wurde spätestens mit dem gestrigen TV-Auftritt von General Sergej Surowikin klar. „An diesem Frontabschnitt ist die Lage schwierig“, sagte Surowikin, der erst seit wenigen Tagen neuer Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine ist. So schwierig, dass auch „schwierige Entscheidungen“ notwendig sein könnten. Seitdem wird im Netz spekuliert, ob Surowikin damit angedeutet haben könnte, dass sich Russland zumindest aus dem Nordteil der Region Cherson zurückziehen könnte, die durch den Fluss Dnjepr vom Süden getrennt ist. Nachdem die Ukraine die Brücken über das Gewässer weitgehend zerstört hat, haben die russischen Truppen große Schwierigkeiten, Nachschub in das Gebiet zu bringen.

Für den weiteren Verlauf des Krieges wird das Geschehen in der Region Cherson von großer Bedeutung sein. Bringt die Ukraine das Territorium wieder unter ihre Kontrolle, könnte es als Sprungbrett auf die Krim genutzt werden. Zumindest würden dort dann auch zahlreiche Ziele in Reichweite der ukrainischen Artilleriesysteme geraten.

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