Russlands Präsident Wladimir Putin, der chinesische Präsident Xi Jinping und der indische Premierminister Narendra Modi (v.l.) Foto: picture alliance/AP Photo

Russlands Präsident Wladimir Putin, der chinesische Präsident Xi Jinping und der indische Premierminister Narendra Modi (v.l.) Foto: picture alliance/AP Phot0

12.02.2018
Karl-Heinz Kamp

Vor der MSC: Welche Rolle die Großmächte spielen

Berlin. Gab es bis vor einigen Jahren noch die Illusion einer wirklich multipolaren Welt, in der eine Vielzahl von gleichgewichtigen Machtzentren auf allen Kontinenten mehr oder weniger kooperativ miteinander umgehen würden, so ist von diesem Modell nicht mehr viel geblieben. Russland entwickelt sich zur Bedrohung für seine Nachbarn, der Mittlere Osten zerfällt, Afrika versinkt weiterhin in Armut und einstige „Rising Stars“ wie Indien oder Brasilien machen sich selbst das Leben schwer.

Wirkliche „Pole“ – also Großmächte, die maßgeblich die internationale Politik beeinflussen – gibt es bestenfalls vier: USA, China, Russland und die Europäische Union, wobei letztere zwar über eine große wirtschaftliche Macht verfügt, aber kein einheitlicher Akteur ist, sondern stets auf den Konsens ihrer Mitglieder angewiesen ist. Welche Rolle werden diese Mächte künftig spielen, wie sehen sie sich selbst und was muss eine EU bedenken, wenn sie sich anschickt, auch in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Konzert der Großen mitzuspielen?

Am zweifelhaftesten ist wohl die Zukunft Russlands. Moskau versucht, den eigenen Großmachtanspruch zu untermauern und scheut dafür auch nicht vor dem Einsatz militärischer Macht gegen seine Nachbarn zurück. Das mag Präsident Wladimir Putin die Zustimmung seiner Landsleute sichern, schadet dem eigenen Land aber langfristig. Russland ist ein Koloss auf tönernen Füßen, der seit Jahrzehnten seine wirtschaftliche, technologische und gesellschaftliche Modernisierung verpasst. Mit nur zwei Produkten auf dem Weltmarkt – nämlich Waffen und Rohstoffen – ist man nicht zukunftsfest, daran ändern auch prestigeträchtige Militäroperationen in Syrien nicht viel. Anstatt alte Größe wiederherzustellen, boxt der russische Bär zwei Gewichtsklassen zu hoch und hat seit dem Ende des Kalten Kriegs seinen Grundzustand nicht verändert: eine einstige Supermacht im Niedergang.

Ganz anders China. Dass das amerikanische Magazin „Time“ China als „the single most powerful actor“ zumindest in der Wirtschaft ansieht, ist das Ergebnis eines langen und schrittweise angelegten Aufstiegs von bitterer Armut hin zum Produzenten von Spitzenerzeugnissen in der Kommunikationstechnologie. Mit langfristigen strategischen Investitionen in die Handelswege nach Europa, Mittelost oder Afrika – der sogenannten „Seidenstraßen-Initiative“ – macht China nun den nächsten Schritt und vertritt seine Interessen auch jenseits der eigenen Landesgrenzen deutlich und mit wenig Rücksicht auf Befindlichkeiten seiner Nachbarn.

Da dies auch mit einem Anwachsen der militärischen Fähigkeiten verbunden ist, bleiben Spannungen mit anderen Regionalmächten nicht aus. Der Konflikt um die Inseln im Südchinesischen Meer ist nur einer der Streitpunkte, die möglicherweise zu einer militärischen Konfrontation führen können.

Ungeachtet einer gelegentlich auftrumpfenden Rhetorik tastet sich China aber immer noch eher vorsichtig an den Weltmachtstatus heran, zumal Rückschläge nicht ausbleiben. Peking gelingt es nicht, das vergleichsweise kleine Nordkorea in die Schranken zu weisen mit der Folge, dass es ein militärisches Eingreifen Amerikas und Südkoreas gleich vor der Haustür haben könnte. Auch verstärken die USA ihre Raketenabwehr-Fähigkeiten in der Region und entwerten damit gleichzeitig das chinesische Nuklearpotenzial.

Unbestrittene Supermacht sind nach wie vor die USA. Sie verfügen nicht nur über eine gewaltige Wirtschaftskraft sowie über das mit weitem Abstand schlagkräftigste Militär auf dem Globus, sondern auch über die Softpower des westlichen Lebensstils. Wohlhabende Russen und Chinesen schicken ihre Kinder auf amerikanische Universitäten und nicht auf die Hochschulen des eigenen Landes. Darüber hinaus liest sich die Liste der Verbündeten Amerikas wie das Who`s who der wohlhabendsten und technisch am weitesten fortgeschrittenen Länder weltweit.

Trump erscheint nach wie vor überfordert


Allerdings scheint dieses Amerika seiner Führungsrolle nicht erst seit Donald Trump überdrüssig. Schon unter Präsident Barack Obama hatte das Land begonnen, den Blick stärker auf die Belange des eigenen Lands und weniger auf den Erhalt der liberalen Weltordnung zu legen, die es selbst einst geschaffen hat. Der derzeitige Präsident scheint den Rückzug aus der Weltpolitik fortzusetzen, offenbar ohne zu wissen, was er eigentlich tut.

Trump präsentiert sich nach wie vor als jemand, der von seinem Amt in jeder Hinsicht überfordert ist, sprunghaft agiert und dessen Ego von seinen Beratern nur mühsam im Zaum gehalten wird. Die in der deutschen Presse formulierte Bezeichnung „Kindskönig“ gibt dies treffend wieder. Unklar ist, wie lange sich dieser Präsident im Amt halten können wird und ob es unter einer künftigen amerikanischen Führung ein Zurück zum internationalen Engagement der Vergangenheit gibt.

Die Europäische Union, bislang zumindest ein wirtschaftliches Schwergewicht, schickt sich folgerichtig an, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und auch in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einem geeint handelnden Akteur in der Weltpolitik aufzuwachsen. Mit großem Nachdruck wurde 2016 eine „Globalstrategie“ veröffentlicht und man geizt seither nicht mit ambitionierten Plänen, auch militärisch im Konzert der Großmächte mitspielen zu können. Deutschland und Frankreich wollen hier vorangehen. Gleichzeitig zeigt sich die Union in einem beklagenswerten Zustand, etwa wenn es um einen Konsens in der Flüchtlingsfrage geht oder wenn militärische Vorhaben mit entsprechenden Mitteln unterstützt werden müssen.

Auch die Reformunfähigkeit wichtiger EU-Mitglieder im Süden gibt Anlass zur Skepsis. Wie aber postiert sich Europa in einer kommenden Dekade, die von Konfrontation und Kooperation gleichermaßen gekennzeichnet sein wird? Drei Entwicklungen sind wahrscheinlich.Russland wird im internationalen Vergleich immer weiter zurückfallen und stärker auf aggressive Rhetorik (und möglicherweise auch Handeln) zurückgreifen, um das Bild eigener Größe leidlich aufrecht zu erhalten. Kooperation mit Russland bleibt in Einzelfällen möglich, kann aber die militärische Abschreckung russischer Drohgebärden nicht ersetzen. Chinas wirtschaftlicher, politischer und militärischer Aufstieg wird sich weiter fortsetzen – allerdings gewöhnt sich das Land nur langsam an die Verantwortung, die aus der Machtfülle und der regionalen Dominanz erwächst. Auch wenn Peking gerade mit seinen militärischen Ambitionen auf Kollisionskurs mit anderen Mächten in seiner Region gerät, scheint die Einbindung Chinas in eine engere internationale Kooperation sehr wohl möglich.

Amerika gibt sich derzeit rätselhaft. Während Russland Weltmacht sein will, aber nicht kann, sind die USA unbestrittene Weltmacht, scheinen es aber immer weniger zu wollen. Allerdings stellt Trump wohl eher eine Ausnahme dar. Einen Präsidenten, der schlicht keine Ahnung hat, was er politisch eigentlich will und warum er im Weißen Haus sitzt, hat es in der jüngeren amerikanischen Vergangenheit noch nicht gegeben. Vermutlich muss er ausgesessen werden. Sein Nachfolger wird sicher nicht zur alten transatlantischen Glückseligkeit zurückfinden, dürfte aber zumindest ein vernünftiges politisches Kosten-Nutzen-Kalkül an den Tag legen und dabei auch die Bedeutung von Verbündeten bedenken.  

Für die EU ergeben sich damit mindestens drei Folgerungen: Erstens ihren Beitrag zu leisten, um den russischen Expansionsdrang einzuhegen. Zweitens die Zusammenarbeit mit China weiter auszubauen, ohne dabei die eigenen Menschenrechtsstandards über Bord zu werfen, und drittens, einem aufkommenden Antiamerikanismus in der europäischen Öffentlichkeit entgegen zu wirken. Denn die USA bleiben – unabhängig von der Person des Präsidenten – für die europäische Sicherheit unverzichtbar. Wenn die Europäische Union auch noch ihren Zusammenhalt stärkt und darüber hinaus ein vernünftiges Erwartungsmanagement betreibt, und nicht ständig von eigener Weltmachtrolle träumt oder mit „rasenden Fortschritten“ in der Sicherheitspolitik prahlt, dann könnten die kommenden turbulenten Jahre durchaus gemeistert werden.