Zehn Jahre nach dem Karfreitagsgefecht war Naef Adebahr zum Interview in der Berliner DBwV-Geschäftsstelle zu Gast. Foto: DBwV/Schmidt

Zehn Jahre nach dem Karfreitagsgefecht war Naef Adebahr zum Interview in der Berliner DBwV-Geschäftsstelle zu Gast. Foto: DBwV/Schmidt

25.03.2020
Gunnar Kruse

"Deutlich wichtiger als irgendeine Medaille"

Für den flüchtigen Betrachter wirkt es wie ein modisches Accessoire. Doch das Armband an seinem Handgelenk ist für Hauptfeldwebel Naef Adebahr viel, viel mehr. Drei Namen sind darauf zu lesen: Nils, Robert und Martin. Ihre Einheit ebenfalls: 3./FschJgBtl 373. Und ein Ort mit Datum: Kunduz 02/04/10. Damals fielen die drei Kameraden Adebahrs, er selbst gehörte zu den verwundeten Bundeswehrsoldaten des Karfreitagsgefechts in Afghanistan.  
 
„Das Armband ist mir deutlich wichtiger als irgendeine Medaille oder Auszeichnung“, sagt er. In den Vorjahren habe er es immer in der Zeit direkt vor dem Jahrestag am 2. April getragen, in den vergangenen zwölf Monaten täglich. Und trage er es nicht, habe es einen festen Platz direkt unter dem Fernseher auf seiner Kommode.

Adebahr ist anzumerken, wie nah ihm das Gefecht und dessen Auswirkungen auch heute noch gehen. Insgesamt gehe es ihm sehr gut, sagt er zwar, doch jetzt kurz vor dem zehnten Jahrestag sei er emotional doch etwas angeschlagen. „Es überkommt mich schon der eine oder andere Gedanke an damals, an die Gefechte und damit verbunden ist eine gewisse Traurigkeit, wenn ich an die gefallenen und verwundeten Kameraden denke“, sagt der 36-Jährige. Das liege aber nicht grundsätzlich am Jahrestag. Alljährlich sei er kurz vor dem 2. April einfach nur traurig.  

Gleichzeitig vermittelt der aus Dorsten stammende Soldat das Gefühl, in sich zu ruhen. „Ich bin mit mir und der Situation im Reinen“, sagt er im Rückblick auf die Ereignisse vor zehn Jahren. Er schätze sich selbst als sehr gefestigt ein, so Adebahr. Er ist seit 2012 an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf tätig, zuerst als Organisationsfeldwebel und seit 2017 als Truppenpsychologiefeldwebel. Zudem: „In der Sportgruppe betreue ich sehr, sehr viele Soldaten, die eine Traumafolgestörung haben.“ Da sehe er, wie schlecht es ihnen teilweise gehe.

Warum er selbst von einer posttraumatischen Belastungsstörung verschont blieb, kann er nicht erklären. Spricht er mit Kameraden darüber, „dann freuen sie sich für mich, auch wenn sie es oft nur schwer verstehen können“.

Damals nach dem Karfreitagsgefecht habe er großen Rückhalt bei seinen Angehörigen und  natürlich auch bei den Kameraden gefunden. „Es war wirklich auch eines meiner Heilmittel, dass ich mich sehr viel mit meinen Vertrauten ausgetauscht und nicht versucht habe, alles nur mit mir selbst auszumachen“, erinnert er sich.
 
Denkt er an die Zeit nach dem Gefecht, verwundet und in Gedanken bei den ebenfalls verwundeten oder gefallenen Kameraden, fällt ihm vor allem eines ein: „Die eigentliche Schwierigkeit war zu diesem Zeitpunkt für mich, dass ich neun Monate im Krankenhaus beziehungsweise zu Hause gewesen bin und meine Reha gemacht habe“, erzählt Adebahr. In Gelsenkirchen zu wohnen und seine Einheit im 280 Kilometer entfernten Seedorf zu wissen, sei nicht leicht gewesen. „Doch vonseiten meiner Kompanie wurde immer wieder gefragt: Naef, wie läuft es bei dir? Können wir dich irgendwie unterstützen?“

Vom Dienstherrn sei hingegen über das damals übliche Maß hinaus erst mal relativ wenig gekommen. Aber da das Karfreitagsgefecht – auch über die Resonanz in der Presse – schnell bekannt wurde, habe sich schließlich der Wehrbeauftragte sehr zügig eingeschaltet und wollte unterstützen. Und über das Zentrum Innere Führung sei wenig später das Projekt „Lotse für Einsatzgeschädigte“ konkret ins Gespräch gekommen. „Insgesamt gesehen haben viele versucht zu helfen. Einige wenige haben es dann tatsächlich auch geschafft“, so Naef Adebahrs Resümee.

Es fehle die Betreuung in der Fläche

Und er betont: „Das Karfreitagsgefecht 2010 ist nicht das erste gewesen. Schon vorher gab es verwundete und gefallene Kameraden. Dass erst nach dem 2. April 2010 überlegt wurde, wie den Kameraden, den Hinterbliebenen per Gesetz besser geholfen werden kann, war für mich persönlich deutlich zu spät. Erst danach kamen ja erst das Einsatz-Weiterwendungsgesetz und das  Einsatzversorgungsverbesserungsgesetz, wurden die Beauftragten für Hinterbliebene sowie für PTBS-Geschädigte eingeführt.“ Mittlerweile ist die Bundeswehr in seinen Augen aber in Sachen Hilfe und Unterstützung für Einsatzgeschädigte „schon sehr, sehr weit, vor allem auch im internationalen Vergleich“.

Und doch fehle noch etwas: die Betreuung in der Fläche, über die bereits intensiv nachgedacht werde. „Wir haben im Moment die Gruppe ,Sporttherapie nach Einsatzschädigung? in Warendorf. Das ist seit 2012, was Sporttherapie angeht, der einzige Standort.“ Es wäre besser, wenn künftig die Teilnehmer in ihrer Heimat damit weitermachen könnten, womit sie in Warendorf begonnen haben. Und das beispielsweise durch unterstützende Sportwissenschaftler. Außerdem sollten Familienangehörige in die Betreuung von Betroffenen einbezogen werden.

"Vor allem der Sport hat mir nach der Verwundung geholfen"

Wie wichtig dies alles sein kann, weiß Naef Adebahr aus eigener Erfahrung. „Vor allem der Sport hat mir nach der Verwundung geholfen. Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier. Mein primäres Ziel war, wieder gesund zu werden, für mich, für die Familie“, sagt er. Als Fallschirmjäger sollte man zwar ohnehin fit sein, aber für ihn sei Sport zeitlebens immer mehr gewesen: „Er hat mich ausgelastet – und vor allem: für klare Gedanken gesorgt.“ 

Ob Joggen, Schwimmen oder Radfahren, für ihn hat das auch mit Achtsamkeit gegenüber sich selbst zu tun: „Als Truppenpsychologiefeldwebel bekomme ich täglich viele negative Geschichten zu hören. Auch wenn ich den Job mache, um anderen etwas von ihrer Last zu nehmen, ist Bewegung oft gut, um mal loszulassen und den Kopf freizubekommen.“

Bei der Frage, ob das Karfreitagsgefecht heute noch genügend Aufmerksamkeit bekommt, muss Adebahr etwas länger nachdenken. „Ich glaube, dass viele nichts mit dem Begriff  anfangen können. Und speziell das Karfreitagsgefecht muss auch nicht jeder kennen“, sagt er dann. Wichtig sei vielmehr: Die Bevölkerung müsse genau wissen, dass deutsche Soldaten im Ausland Leib und Leben für Deutschland riskierten. Denn es habe genug andere Gefechte vor dem Karfreitag 2010 und danach gegeben. Grundsätzlich sollte man alle beleuchten, um Lehren draus zu ziehen. Und dafür müsse man an sie erinnern.

DBwV bot den Soldaten eine Platform, mit den Politikern zu reden

Bei diesem Thema habe sich der Deutsche BundeswehrVerband von Anfang an sehr engagiert. „Das habe ich persönlich beispielsweise durch die Einladung zum Parlamentarischen Abend erfahren“, sagt der Hauptfeldwebel. „Dabei wurde nicht nur über uns Einsatzgeschädigte geredet, sondern vor allen Dingen auch mit uns.“ Den Soldaten sei so eine Plattform gegeben worden, auch mit den Politikern zu reden. Denn die seien es, die die Soldaten in die Einsätze schickten. „So konnten wir erklären, was genau dort passiert, was das mit uns macht. Und was besser gemacht werden könnte.“

Auch auf anderen Gebieten habe sich der DBwV stark eingebracht, beispielsweise beim Einsatz-Weiterwendungsgesetz, für das der Verband im Vorfeld viele Soldaten und vor allem Betroffene befragt habe, um kompetent bei der Gesetzgebung mitzuwirken.

An seiner Berufswahl Soldat – und speziell Fallschirmjäger – zweifelt Adebahr kein bisschen. Er brauche nicht eine Sekunde nachzudenken, um sich wieder genau dafür zu entscheiden. „Was ich dort erlebt habe, speziell bei den Fallschirmjägern, war absolute Aufopferungsbereitschaft, eben echte Kameradschaft“, sagt er – Erfahrungen, die ihn sehr geprägt haben und die er nicht mehr missen will. Allerdings ist auch das Karfreitagsgefecht untrennbar mit seinem Soldatenleben verbunden.

"Es ist schwer, einen Sinn in diesem Einsatz zu sehen"

„Es ist erschreckend, wie schnell die zehn Jahre vergangen sind. In dieser Zeit hat sich so viel in meinem Leben geändert, das meiste hat sich zum Positiven gewandelt“, resümiert Adebahr. Vor allem die Einstellung, das Leben, soweit es geht, auszukosten und zu genießen, funktioniere sehr gut.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes am Hindukusch sei an sich nicht einfach zu beantworten: „Da ich aber kein Politiker bin, muss ich auch keine Form wahren. Mit Blick auf die getöteten und verwundeten Soldaten und der immer schlechter werdenden Sicherheitslage in Afghanistan ist es schwer, einen Sinn in diesem Einsatz zu sehen“, sagt der Hauptfeldwebel.

Das stehe aber nicht im Konflikt dazu, dass er 2018 erneut im Einsatz war und auch 2021 wieder gehen werde. „Nur weil ich den Einsatz nicht für sinnvoll erachte, heißt das nicht, dass ich meine Tätigkeit als Truppenpsychologiefeldwebel im Einsatz nicht für sinnvoll halte. Letztlich werden wir Soldaten in einen mandatierten Einsatz geschickt und die Verantwortung dafür sollte die Politik übernehmen und auch immer wieder daran erinnert werden.“

Er könne jeden verstehen, der nicht über derartige Erlebnisse reden will. „Aber irgendwer muss es ja machen. Und bevor es keiner macht, dann mach ich es“, sagt Adebahr, der mit seiner Bereitschaft zum Gespräch mit unserem Verbandsmagazin eine Hoffnung verbindet. Vielleicht mache er ja so dem einen oder anderen, der bei einem Einsatz physisch oder psychisch Schaden genommen hat, Mut, sich doch noch zu öffnen und professionelle Hilfe anzunehmen.