Immer mehr Aufträge, immer komplexere Missionen bürdet die Politik der Bundeswehr auf. Und das, obwohl die Truppe im Bereich der Materiallage kurz vor dem Kollaps steht. Foto: Imago

Immer mehr Aufträge, immer komplexere Missionen bürdet die Politik der Bundeswehr auf. Und das, obwohl die Truppe im Bereich der Materiallage kurz vor dem Kollaps steht. Foto: Imago

20.03.2018
mn/R4

„Combat ready“ – echt jetzt?

Berlin. Die Bundeswehr verzettelt sich – auch im ersten Quartal 2018 – mit einer kaum überschaubaren Anzahl von Einsätzen und Kleinstmissionen. Obwohl die Truppe nach plausiblen Einschätzungen im Bereich der Materiallage kurz vor dem Kollaps steht, bürdet die Politik den Soldaten immer kompliziertere Aufträge außerhalb des Landes auf. Die inzwischen gar nicht mehr neue „Wir-schaffen-das-Mentalität“ hat sich also auch im Verteidigungsministerium durchgesetzt. Sicher – die rechtsgültigen sowie erst unlängst verlängerten Mandate sind seitens des bisher geforderten Personalkörpers in Bezug auf die festgezurrte Obergrenze noch lange nicht ausgeschöpft. Denn „nur“ die Hälfte von theoretisch 7000 Kräften, so wird beteuert, wird derweil in die Auslandseinsätze entsendet. Zu Lande, teils zu (nicht mehr unter) Wasser und auch noch ein bisschen in der Luft.

Mitte März verdichteten sich die täglichen Nachrichten, dass man schon in Kürze personell tüchtig aufstocken will und muss. Dies sei der Sicherheitslage, insbesondere in Afghanistan, geschuldet und erfordere die weitere Entsendung von 320 Soldaten an den Hindukusch. „Für den Deutschen BundeswehrVerband kommt diese Forderung nach einem Mehr zur Ausweitung internationaler Einsatzverpflichtungen – aber auch gerade zum Selbstschutz unserer teils doch personell sehr überschaubaren Einsatzkräfte – gar nicht mehr überraschend“, so der Stellvertretende Bundesvorsitzende Hauptmann Andreas Steinmetz. Es sei schließlich die „logische Konsequenz der aktuellen Entwicklungen und wir werden es nicht zulassen, dass unsere Soldaten aufgrund zu geringer Kontingentstärken nicht in der Lage sind, sich dauerhaft und verlässlich selbst zu schützen. Vor diesem Hintergrund begrüße ich die getroffene Entscheidung des Bundestages“, so Steinmetz weiter. 

Und wenn etwas fehlt?

Es ist gelebte Praxis deutscher Militärs, auf Weisung der oftmals nur rudimentär mit Fachwissen über die Bundeswehr ausgestatteten Volksvertreter einen zusammengewürfelten Haufen von Soldaten samt des der SollOrg entsprechenden dazugehörigen Materials auf andere Kontinente zu schicken. Es fehlen aber nur zu oft Spezialausrüstung oder Fahrzeuge – egal  ob Großgerät oder Vektorenschutz. Die inzwischen selbst von der Ministerin öffentlich verteidigte Praxis des Entleihens, ja selbst an Schulen oder in spezialisierten Verbänden, findet tatsächlich statt. Alles im Fehl befindliche Gerät wird so kompensiert, und zwar auf obersten Befehl. Das kann allerdings so nur noch bedingt lange gut gehen, ohne hier die längst gestellten Forderung des Verbandes zu dieser Angelegenheit wiederholen zu müssen.

Es ist zwar ganz toll, wenn in Resolute Support plötzlich drei neue mattglänzende DINGO II ausgeladen werden. Blöd nur, wenn dann keiner da ist, um den zusätzlichen Fuhrpark so richtig nutzen zu können, da die Autos dann an der Schule zur Durchführung der Einsatzausbildung fehlten. Die hier erwähnten Dingos befanden sich schon längst im Bauch einer von der Bundeswehr gecharterten ukrainischen Transportmaschine in Leipzig, um rechtzeitig in deren Einsatzgebiet zu kommen.
Bedingt einsatzbereites Personal.

Vernachlässigen wir im Folgenden die inzwischen allseits diskutierte Materialmisere der Truppe. Lassen Sie uns vielmehr zu dem Hauptanliegen dieses Berichtes kommen. Im Fokus steht hier der Ausbildungsstatus „combat ready“, eine inzwischen international anerkannte Wortschöpfung im militärischen Sprachjargon. Mittels dieses Status wird einem signalisiert, dass wir es hier mit einem ausgewiesenen Experten für den Einsatz in aller Herren Länder zu tun haben sollten. Mit Soldaten, die eine ganze Reihe von Lehrgängen durchlebt und schließlich auch bestanden haben. Ein paar Beispiele müssen zur Veranschaulichung erlaubt sein. Da wären die Ausbildung und das Schießen mit und an allen gängigen Handwaffen; der mutige und zugleich gefährliche Umgang sowohl mit der Splitterhandgranate als auch mit der Granatpistole und natürlich sei hier auch die klassische Panzerabwehr erwähnt.

Zusätzlich zu der Ausbildungshöhe „combat ready“ kommt natürlich noch hinzu, was der einsatzbereite Soldat tief im Einsatzland so nebenbei noch alles können sollte. Als da wären der immer mehr an Bedeutung gewinnende Ausbildungsgang „Kampf im urbanen Raum“, die Selbst- und Kameradenhilfe und vieles andere mehr. Unverzichtbares soldatisches Handwerkszeug, und das nicht nur für diejenigen Soldaten, die unser Staat entsendet – nach Mali, nach Afghanistan, in den Irak. Diesen Standpunkt vertritt übrigens auch der Dienstgeber, welcher, wie wir wissen, postuliert, dass „insbesondere in unklaren und bedrohlichen Lagen“, so zum Beispiel während eines Feuergefechts oder in einem Minenfeld, „sich die Soldaten bei hohem Stress auf ihre erlangten Fertigkeiten verlassen können müssen …“.

Als ob ein Auslandseinsatz keine bedrohliche Lage wäre.


Die Mitglieder des Deutschen BundeswehrVerbands berichten immer häufiger von genau dieser desolaten Lage in der Truppe. Und wenn Sie jetzt dem Folgenden keinen rechten Glauben schenken mögen, dann vielleicht doch eher dem Wehrbeauftragten? Dieser beklagte zuletzt Ende Februar in seinem aktuellsten Bericht zum Zustand in der Bundeswehr von dem hier diskutierten Umstand. Soldaten werden immer öfter unvollständig und eben nicht nach allen gebotenen Regeln der Kriegskunst auf dem modernen Gefechtsfeld, insbesondere im Hinblick auf irreguläre Bedrohungen, ausgebildet.

Diesen Umstand auszusprechen sei erlaubt und das ist auch ganz und gar nicht defätistisch zu bewerten. Es ist eine nicht widerlegbare Tatsache – da helfen auch jüngste Beteuerungen der Verteidigungsministerin nichts. Denn der Truppe gelingt es kaum, die nicht einmal 4000 eingesetzten Kameraden der laufenden Auslandseinsätze vollausgebildet auf den Hof zu bekommen. Und wer jetzt nicht rechnen will, dem sei gesagt, dass sich mit den 3686 Männern und Frauen gerade erst einmal eine Hälfte des zur Verfügung stehenden Personalkörpers im Kampf gegen den Mangel und eine daraus erwachsende mangelhafte Ausbildung wiederfindet. Die Ursachen liegen auf der Hand und wurden mittels öffentlicher Debatten bereits hinlänglich diskutiert, zumindest von denen, die das heutzutage in Deutschland noch interessiert. 

So schaffen wir es eben nicht.


Wenn Frau Dr. Ursula von der Leyen davon spricht, dass laufende Einsätze nicht von der Gesamtsituation, dem Mix aus Personal- und Materiallage deutscher Streitkräfte, beeinträchtigt werden, dann beruhigt das uns und unsere Mitglieder in keiner Weise. Dieser Zustand beruhigt allenfalls die Politik in Berlin und andernorts. Die Schlagkraft der Truppe ergibt sich nicht aus ihrem Umfang, sondern aus dem Vermögen, sie tatsächlich wirkungsvoll einsetzen zu können, mit den erforderlichen Fähigkeiten und dem benötigten Material. Die Soldaten wollen und haben einen Anspruch auf eine vollumfängliche, also lückenlose Ausbildung. Eine Ausbildung mitsamt ständigem „in Übung halten“: Dies ist und war schon immer ein Dauerauftrag der Angehörigen aller Organisationsbereiche der Bundeswehr.

Gerade die jahrelang andauernde hohe Einsatzbelastung macht es notwendig, besonders grundlegende Kompetenzen und Fähigkeiten zu Hause ständig zumindest aufrechtzuerhalten – oder besser noch – verstetigend weiterzuführen. Es reicht nicht aus, dass das Prädikat der Einsatzbereitschaft per Handauflegen erteilt wird in dem Glauben, Versäumtes im Ausland nachzuholen zu können. Und nicht anders als die Berufskraftfahrer, welche sich ständig in Sachen Fahr- und Betriebssicherheit aus- und weiterzubilden haben, müssen die Soldaten Gelegenheit erhalten, vor dem Einsatz fix und fertig ausgebildet werden zu können. Wem Ausbildungsmodule oder ganze Ausbildungen fehlen, der darf künftig nicht mehr in Einsätze geschickt werden. Ohne jede Ausrede, ohne Aufschub. Als ein Anzeichen für einen sich abzeichnenden sicherheitspolitischen Bankrott nicht nur innerhalb der Landesverteidigung zählt ganz bestimmt auch eine nur teilweise ausgebildete Truppe. Echt jetzt.

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