Warum die Bundesregierung Waffendeals mit der Türkei blockiert
Deutschland zieht die Zügel bei Rüstungsexporten an die Türkei an. Der Grund: Menschenrechte und die innere Lage. Abhängig ist die Türkei von deutschen Waffen aber nicht.
Berlin (dpa) - Es geht um Handfeuerwaffen, um Munition und Teile für weitere Rüstungsgüter: Die Bundesregierung hat eine ganze Reihe von Exporten an die Türkei abgelehnt. Die Entscheidung gegen elf Aufträge fiel dabei bereits lange vor der derzeitigen Eskalationsspirale um Nazi-Vergleiche und Wahlkampfauftritte türkischer Minister. Grund für die Blockade ist die politische Lage am Bosporus.
Welche konkrete Gefahr sieht die Regierung bei den Waffendeals?
Es besteht vor allem die Sorge, dass türkische Sicherheitskräfte deutsche Waffen im Kurdenkonflikt einsetzen könnten - ob das derzeit geschieht, ist nicht bekannt. Zwar richten sich die Operationen von Armee und Polizei offiziell gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK, die nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland auf der Liste der Terrororganisationen steht. Die Zivilbevölkerung wird dabei aber schwer in Mitleidenschaft gezogen. Zuletzt hatten die Vereinten Nationen der Türkei Menschenrechtsverletzungen im mehrheitlich von Kurden bewohnten Südosten des Landes vorgeworfen.
Kommt die Türkei als Nato-Partner nicht leicht an deutsche Waffen?
Deutschland fährt einen restriktiven Kurs bei den Rüstungsexporten. Die Hürden für Waffenexporte für Nato-Partner sind aber niedriger als etwa in andere Staaten wie Saudi-Arabien. Entscheidend dabei sind die Sicherheitsinteressen Deutschlands im Rahmen des Bündnisses. Exporte an Nato- und EU-Partner können aber «aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen» verweigert werden. Diese Karte spielt die Regierung nun aus. «Das ganze Vorgehen zeigt: Wenn der Wille da ist, kann man auch dem Nato-Partner Exporte versagen», sagt die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger.
Wie viele deutsche Waffen bezieht die Türkei aus der Bundesrepublik?
Die Türkei gilt als bedeutendes Zielland für deutsche Rüstungsgüter. 2015 wurden 270 Exporte genehmigt - im Wert von knapp 39 Millionen Euro. Im Rüstungsexportbericht über das erste Halbjahr 2016 rückte die Türkei gar von Platz 25 auf Platz 8 vor - mit einem Wert von 76 Millionen Euro. Die Bundesregierung hält sich aber für die Zukunft weitere Exporte offen. «Da es eine Einzelfallentscheidung war, kann man es nicht pauschalisieren», sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums.
Schmerzt die Blockade die Türkei?
Nicht wirklich. In der Nato wird mit Sorge beobachtet, dass sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit wachsender Entfremdung vom Westen zunehmend an Russland orientiert. Derzeit verhandelt die Türkei mit Russland über den Kauf des leistungsstarken Flugabwehrsystems S-400. Das System kann Flugzeuge und Raketen im Umkreis von 400 Kilometer bekämpfen. Militärisch mag eine Einschränkung deutscher Rüstungsexporte die Türkei nicht sonderlich schwächen. Politisch wird ein solcher Schritt aber besonders bei den derzeitigen Spannungen sicherlich nicht als ein freundlicher Akt gewertet werden.
Gab es schon vorher im Nato-Kontext Spannungen mit der Türkei?
Ja, vor allem rund um den deutschen Tornado-Einsatz in Incirlik. Für schwere Verstimmungen sorgte, dass Ankara deutschen Abgeordneten den Besuch der Bundeswehrsoldaten auf der Basis verweigerte. Die Türkei fordert von Deutschland außerdem vollen Zugang zu Aufklärungsdaten der Tornados. Ankara will diese Daten auch im Kampf gegen Kurden-Milizen in Syrien verwenden. Die Milizen sind ein Ableger der PKK, werden von westlichen Staaten aber - anders als von der Türkei - nicht als Terrororganisationen eingestuft. Der Grund: Sie kämpfen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Bundeswehr stellt der Türkei nur einen Teil der Aufklärungsergebnisse zur Verfügung, damit die Aufnahmen nur für den mandatierten Einsatz gegen den IS, nicht aber zum Kampf gegen die Kurden-Milizen genutzt werden.
Hat der Ärger mit der Türkei Folgen für die Nato-Mitgliedschaft?
Für das Bündnis ist der Streit äußerst unangenehm. Auf der einen Seite wird immer wieder betont, dass die Allianz nicht nur ein Verteidigungsbündnis, sondern auch eine Wertegemeinschaft sei. Auf der der anderen Seite können die Alliierten kaum etwas tun, wenn sich ein Mitgliedstaat von demokratischen und rechtsstaatlichen Standards verabschiedet. Wer einmal Nato-Mitglied ist, muss nach bisherigen Erfahrungen kaum mehr fürchten als Ermahnungen. Denn die Türkei verfügt über die zweitstärkste Nato-Armee nach den USA und gilt als äußerst wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).