Oberstleutnant Ralf Wagner ist DBwV-Mitglied und im Vorstand des Hauptwahlvorstands bei den Personalratswahlen 2020 in der Bundeswehr. Foto: DBwV

Oberstleutnant Ralf Wagner ist DBwV-Mitglied und im Vorstand des Hauptwahlvorstands bei den Personalratswahlen 2020 in der Bundeswehr. Foto: DBwV

23.06.2020
DBwV

Wahlen in der Krise

Die Personalratswahlen 2020 werden, nicht nur in der Bundeswehr, als eine ganz besondere Wahl in die Geschichte eingehen.  In zahlreichen Bundesbehörden waren die Beschäftigten entweder im Einsatz um Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus zu treffen, arbeiten von zu Hause aus oder befanden sich zum Selbstschutz in Quarantäne. Eine Verschiebung oder die generelle Anordnung der Briefwahl war gesetzlich nicht vorgesehen und das Ende der laufenden Amtsperiode der Personalräte ist  gesetzlich festgeschrieben. Es drohte eine beteiligungsfreie Zeit in der Bundeswehr und den anderen Bundesbehörden. Oberstabsfeldwebel a.D. Andreas Hubert, Vorsitzender des Fachbereichs Beteiligungsrechte im Bundesvorstand des Deutschen BundeswehrVerbands (DBwV), sprach mit Oberstleutnant Ralf Wagner, erster stellvertretender Vorsitzender des Hauptwahlvorstands, über die Herausforderungen einer Wahl in der Krise.

Die Bundeswehr:Herr Wagner, wenn die Personalratswahlen „normal“ verlaufen wären, hätten jetzt die neu gewählten Mitglieder des Hauptpersonalrates beim Bundesministerium der Verteidigung ihre konstituierende Sitzung abgeschlossen und Ihre Arbeit wäre beendet. Jetzt findet die Stimmabgabe vom 9. bis 11. November statt. Wann wurde dem Hauptwahlvorstand klar, dass diese Wahlen anders sein würden als die bisherigen?
Oberstleutnant Ralf Wagner:  Das war eine spannende Zeit, als bei uns die Informationen über die rasante Entwicklung des Coronavirus eintrafen, und durch die verschiedenen Maßnahmen beim Bund und in den Ländern abzusehen war, dass die Durchführung einer rechtskonformen Wahl in dieser Situation nicht möglich sein würde. Die damals geltenden Regelungen im Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) sah keine Möglichkeit vor, die Amtszeiten der aktuellen Vertretungen über den 31. Mai 2020 hinaus zu verlängern. Somit hätte eine Verschiebung der Wahl – zu der es außerdem auch keine Regelungen in der Wahlordnung gab – in eine beteiligungsfeie Zeit geführt. Mit diesen Risiken vor den Augen hatten wir einen spannenden März und April.
 
Hatten die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen auch direkte Auswirkungen auf die Arbeit des Hauptwahlvorstands in Bonn?

Ja, tatsächlich, da waren zunächst profane Dinge. Die Übernachtungsmöglichkeiten für die Mitglieder des Hauptwahlvorstands fielen der Reihe nach weg, weil die Hotels aufgrund der Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes schließen mussten. Hinzu kam die Abwägung, ob eine Dienstreise oder Sitzung des Hauptwahlvorstands nun unbedingt stattfinden muss, oder wie man den Versand der Wahlunterlagen organisiert, möglichst ohne sich selbst zu infizieren oder das Virus zu verschleppen. Glücklicherweise gab es im Hauptwahlvorstand bis heute offenbar keine Erkrankung an COVID-19. Die gesamte Situation stand immer unter dem Druck, die Personalratswahlen bis Ende April abzuschließen, weil die Gesetzeslage das so vorsah. Wir hatten hier nicht viel Spielraum!

Die Lage im März veränderte sich täglich und eine demokratische Personalratswahl konnte nicht mehr gewährleistet werden, wenn die Wählerschaft aufgrund der Dislozierung der Menschen in der Bundeswehr nicht mehr erreicht werden konnte. An welche Alternativen haben Sie dann gedacht?
Natürlich haben wir als Erstes an eine grundsätzliche Anordnung der Briefwahl für alle Beschäftigten der Bundeswehr gedacht. Leider war eine solche Anordnung aufgrund der im März 2020 gültigen Wahlordnung nicht möglich. Der Versuch, diese mit kreativen Mitteln zu initiieren, scheiterte letztendlich auch daran, dass die Beschäftigten bereits überwiegend im Homeoffice ihren Dienst versehen haben oder auch in den Dienststellen nicht mehr zu erreichen waren. So haben die Rückmeldungen auf unsere Abfrage an die rund 750 Wahlvorstände ergeben, dass die Mehrzahl der rückmeldenden Wahlvorstände eine rechtskonforme Wahl zum geplanten Termin nicht mehr für möglich hielt. Manche Wahlvorstände waren nicht mehr handlungsfähig oder nicht mehr erreichbar, teilweise meldeten sich die Wahlvorstände über private Telefonnummern und E-Mail-Adressen, nachdem sie von unserer Abfrage erfahren hatten.  Zum damaligen Zeitpunkt drohte in einer Vielzahl der personalratsfähigen Dienststellen und auch in zahlreichen anderen Bundesbehörden eine beteiligungsfreie Zeit, weil bis zum 31. Mai 2020 keine neuen Personalräte gewählt worden wären. Das hätte zu zahlreichen negativen Auswirkungen für die Menschen in der Bundeswehr führen können. Wir haben hierzu mehrmals die Leitung des BMVg informiert, und die Situation mit Handlungsoptionen – bis hin zum Abbruch der Wahlen – dargestellt.  Die anderen Gewerkschaften und Verbände hatten natürlich vergleichbare Sachstände und waren ebenfalls alarmiert.

Vor diesem Hintergrund wurde der DBwV, stets in Abstimmung mit anderen Gewerkschaften, gegenüber dem zuständigen Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat umgehend tätig, mit dem Ziel, eine kurzfristige Anpassung des Gesetzes und der Wahlordnung zu erzielen, um ordnungsgemäße Neuwahlen zu ermöglichen. Wie haben Sie das Engagement der Akteure wahrgenommen?
In dieser Zeit ist viel in den sozialen Netzwerken berichtet worden, leider zu oft auch Falsches. Das hat den Prozess an der einen oder anderen Stelle mehr gelähmt als beschleunigt, und das obwohl ohnehin nicht viel Zeit vorhanden war. In diesen sehr bewegten Zeiten hat sich einmal mehr gezeigt, wie wichtig der Ansatz ist, Kompetenz, Erfahrung und funktionierende Netzwerke miteinander zu verbinden. Unsere ehrenamtlichen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger des DBwV haben sich zusammen mit den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesgeschäftsstelle unglaublich für das Wohl der Menschen in der Bundeswehr stark gemacht.  Durch den beständigen Dialog mit Mitgliedern von Wahlvorständen und mit ihrem beharrlichen Nachfassen haben sie  konstruktiv dafür gesorgt, dass tragfähige Änderungen in der Wahlordnung und im Gesetz in Rekordzeit durch alle Instanzen gelaufen sind. So wurde die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte für alle drei Statusgruppen für die Menschen in der Bundeswehr gewährleistet.

Ich möchte dabei noch die Aktivitäten der Leitung des BMVg herausstellen, die sich offenbar auch gegen Widerstände anderer Ressorts sehr in unserem Sinne eingesetzt hat.

Mit dem Gesetzentwurf, der am 8. April vom Kabinett beschlossen und Anfang Mai vom Bundestag verabschiedet wurde, wird nun eine personalratsfreie Zeit verhindert. Was bedeutet das für die Personalratswahlen, auf die man sich lange und arbeitsintensiv vorbereitet hat?
Aufgrund der Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes bleiben die aktuell gewählten Personalvertretungen über den 31. Mai 2020 hinaus im Amt. Damit endet die Amtszeit nicht wie bisher nach vier Jahren, sondern erst mit der Konstituierung der neu gewählten Vertretungen.

Auch wenn das Gesetz lediglich davon spricht, dass die Personalvertretungen die Geschäfte führen, hat dies keine Einschränkung der personalvertretungsrechtlichen Befugnis zur Folge. Dies bedeutet, dass nicht nur zwingend erforderliche Angelegenheiten gelöst werden können, sondern die Befugnis erstreckt sich grundsätzlich auf alle beteiligungspflichtigen Gegenstände und Möglichkeiten. Diese Verlängerung der Amtszeit greift auch in den Fällen, in denen die Wahl bereits fünf Jahre zurückliegt, sodass die Amtszeit auf insgesamt sechs Jahre ausgedehnt wird. Darüber hinaus wurde in der Wahlordnung eine befristete Sonderregelungen für die Personalratswahlen 2020 aufgenommen. Demnach können die Wahlvorstände nun eine schriftliche Stimmabgabe anordnen und den Wahltermin verschieben. Alle bereits getroffenen Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl sowie eingereichte Wahlvorschläge bleiben dabei gültig. Im laufenden Wahlverfahren können elektronische Informations- und Kommunikationsmittel für Bekanntmachungen genutzt werden. Durch die Änderungen der Wahlordnung besteht nun die Möglichkeit, die Wahlen auch dann zu verschieben, wenn die Wahl bereits eingeleitet worden ist und auch bereits weitere Schritte, wie zum Beispiel die Einreichung der Wahlvorschläge, vollzogen worden sind. Auch der Eingang der ersten Briefwahlunterlagen steht der Verschiebung der Wahl nicht entgegen.

Der Hauptwahlvorstand beim Bundesministerium der Verteidigung hat durch eine Ergänzung des Wahlausschreibens am 16. April 2020 den neuen Termin für die Stimmabgabe zur Durchführung der Personalratswahlen 2020 festgelegt. Der Zeitraum ist jetzt von Dienstag, 10. November, bis Mittwoch, 11. November. In Großdienststellen kann auch am Montag, 9. November 2020, gewählt werden.
 
Damit finden die Personalratswahlen rund ein halbes Jahr später statt und die amtierenden Personalratsmitglieder vertreten weiterhin die  Beteiligungsrechte für die Menschen in der Bundeswehr – in der aktuellen Situation und gerade in den vergangenen Wochen keine leichte Aufgabe. Hat man die Änderungen genutzt, um die Situation der ehrenamtlich tätigen Mandatsträger zu erleichtern?
Neben der Vermeidung einer personalratslosen Zeit war das Ziel der Gesetzesänderung auch, die praktische Umsetzung der Personalratstätigkeit in dieser Situation zu ermöglichen. Zu den Regularien der Geschäftsführung zählt grundsätzlich, dass Beschlüsse nur in Sitzungen gefasst werden können, bei denen mindestens die Hälfte der Mitglieder persönlich anwesend ist. Befristet bis zum 31. März 2021 ist nun auch eine Sitzungsteilnahme mittels Video- oder Telefonkonferenzen möglich. Allerdings müssen die benutzten Einrichtungen durch die Dienststellen zur dienstlichen Nutzung freigegeben und jedes Mitglied mit diesem Vorgehen einverstanden sein. Somit steht dem Einzelnen ein Vetorecht gegen diese Vorgehensweise zu. Auch beim Abhalten einer Sprechstunde kann auf dienstlich freigegebene Telekommunikation zurückgegriffen werden. Das erleichtert die Personalratstätigkeit in Zeiten von Kontaktbeschränkungen, ersetzt jedoch nicht den persönlichen Austausch, der aus meiner Sicht unabdingbar bleibt. Insbesondere bei größeren Gremien wird eine Sitzung als „Telekonferenz“ vermutlich nur eine Ausnahme bleiben können.

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