15.01.2018
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Die Sanierung der Bundeswehr – aufgeschoben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag!

Berlin. Es gibt kaum ein Medium in Deutschland, das heute nicht darüber berichtet, dass sich der DBwV entsetzt über das Sondierungsergebnis der angehenden Koalitionäre geäußert hat. Gleichzeitig erscheint ein Interview mit der Verteidigungsministerin, in dem sie Stolz und Zufriedenheit über die Entwicklung des Verteidigungshaushalts erkennen lässt.

Also: Wo liegt das Problem, warum unsere harsche Reaktion? Ein Rückblick: Als im ersten Halbjahr 2017 der 51. Finanzplan (2018-2021) erarbeitet wurde, entstand gleichzeitig der Entwurf von Konzeption und dem Fähigkeitsprofil unserer Bundeswehr. Sie basierten auf den Kernaussagen des Weißbuchs einschließlich der darin befindlichen „Ressortstrategie“ und waren abgestimmt mit dem „Blue Book“, den Zielvorgaben der Nato. In den Dokumenten wurde so präzise wie lange nicht mehr dargelegt, wie groß mittlerweile das Delta zwischen politischen Anspruch und Wirklichkeit ist.

Daraus wurde abgeleitet, welchen Weg die Bundeswehr in den nächsten Jahren zu gehen hat. Nach jahrelangen Etat-Kürzungen, der Minimierung von Fähigkeiten und der Reduzierung der Bundeswehr auf „kleineres“ Krisen- und Konfliktmanagement bzw. Ertüchtigung war spätestens 2014 klar geworden, dass es  eine „grundlegende sicherheitspolitische Lageänderung“ gegeben hatte. Die Konsequenz: Eine massive Kehrtwende, die Verteidigungsministerin von der Leyen national wie international abgestimmt enorm forciert hat.

Leider konnten Konzeption und Fähigkeitsprofil nicht rechtzeitig politisch abgestimmt werden, um anschließend die Grundlage für höhere Finanzforderungen zu bilden – Verwerfungen im Nachgang politisch-medialer Fehlleistung im Umgang mit Vorfällen in Pfullendorf oder dem mittlerweile angeklagten Oberleutnant Franco A. waren die Gründe dafür.

Trotzdem: Wer wissen wollte, der konnte es auch. Denn die Planungen und die Analyse des Finanzbedarfs lagen auf dem Tisch, sie hätten für den Kabinettsbeschluss zum 51. Finanzplan allemal ausgereicht. Wahltaktische Erwägungen und Rücksicht auf die SPD waren die Gründe dafür, dass der errechnete Mehraufwand zur „Reanimierung“ der Bundeswehr geringer dargestellt wurde. Dem Vernehmen nach sollte das idealerweise von einer großen Koalition nach der Wahl wieder „gerade gezogen“ werden.

Zurück ins hier und jetzt: Was „gerade ziehen“ bedeutet, können wir jetzt im Sondierungspapier lesen: Statt des im Minimum benötigten Anstiegs von insgesamt 9 Milliarden Euro zusätzlich zum 51. Finanzplan bis 2021 (siehe Tabelle) soll der Einzelplan 14 lediglich um rund eine Milliarde zusätzlich zum 51. Finanzplan steigen – eine weitere Milliarde ist für ODA, also Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit, vorgesehen. Wie weit wir vom tatsächlichen Bedarf entfernt sind, kann jeder ableiten, der die Grundrechenarten beherrscht.

Dass wir das als DBwV nicht gutheißen können, liegt auf der Hand. Entsprechend harsch war unsere Kritik. Wir wissen aus Erfahrung, dass zumeist als erstes im Personalhaushalt gespart wird. Nun werden wir alles daran setzen, dass die hoffentlich erfolgreich verlaufenden Tarifverhandlungen auf die Besoldungs- und Versorgungsempfänger übertragen werden. Und wer weiß, dass ein Prozent Gehaltssteigerung ca. 155 Millionen Euro im Jahr ausmacht, kann sich vorstellen, wie schnell die vorgesehenen 250 Millionen (eine Milliarde für vier Jahre) verbraucht sind. Nicht einmal die steigenden Betriebsausgaben der Bundeswehr sind so zu decken. Die Folge wäre zwangsläufig eine Umschichtung oder Streckung in der Vorhabenliste zur Wiederherstellung der vollen Einsatzbereitschaft.

Für die Trendwenden Material und Personal bedeutet das mindestens eine Verlangsamung. Das wäre deswegen besonders fatal, weil die Politik bei den Aufgaben und Einsätzen immer weiter beschleunigt. Wer hätte vor Jahren gedacht, dass wir heute wieder in Afghanistan aufstocken sollen, verstärkt in Nordafrika, im Mittelmeerraum, in Nahen- und Mittleren Osten oder im Baltikum im Einsatz sind? Dass wir erstmals seit 1990 in 360-Grad-Abdeckung gleichzeitig das Rückgrat des europäischen Pfeilers in der Nato werden und neben einem verstärkten Krisen- und Konfliktmanagement wieder voll in die Bündnisverteidigung einsteigen? Und an weitere Einsätze wird auch schon gedacht: So sprechen einige vom Fähigkeitsaufbau im Irak und dauerhaftem Engagement in Jordanien, von einer am Horizont erkennbaren Beobachtermission in der Ukraine ganz zu schweigen.

Keine Frage: Die Bundeswehr folgt den Entscheidungen des Parlaments. Aber es wird höchste Zeit, dass Auftrag und Mittel endlich in Einklang gebracht werden! Dazu müssen die personellen sowie materiellen Lücken schleunigst aufgefüllt und die entsprechende Modernisierung endlich angegangen werden!

Niemand bestreitet, dass der Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren einen enormen Sprung nach vorne gemacht hat. Das war aber auch notwendig, denn um ein Bild zu gebrauchen: Unser „Haus“ Bundeswehr braucht eine Sanierung von Grund auf. Zusätzlich hat Frau von der Leyen eine neue „Garage“ – namentlich „CIR“ – in Auftrag gegeben und wünscht sich mit Blick auf den European Logistic-Hub und ein Medical Command sogar eine Art „erweiterungsfähigen Wintergarten“.

Dafür war es gut, dass wir in der vergangenen Legislaturperiode eine stattliche Steigerung im Verteidigungshaushalt erhalten haben. Um die von der Politik in Auftrag gegebenen Sanierungen und Modernisierungen zu finanzieren, ist das aber nicht ausreichend.

Verteidigungsministerin von der Leyen sagte im vergangenen Jahr völlig zu Recht in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Mittlerweile kann jeder sehen, welche Lücken im Material der Bundeswehr aufgerissen wurden.“ Um im Bild zu bleiben: Sollte der nächste Koalitionsvertrag zementieren, dass der Verteidigungshaushalt zusätzlich zum 51. Finanzplan lediglich um eine Milliarde bis 2021 erhöht wird, sollte jetzt erklärt werden, dass wir über viele Jahre beim Wintergarten ohne Scheiben, die Garage nur über das Fundament erkennen werden und das Dach noch löchrig bleibt.

Oder übersetzt: Die Wiederherstellung der vollen Einsatzbereitschaft wird sich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausschieben. Entspricht das der sicherheitspolitischen Lage oder unserem Anspruch? Nein, aber die Verantwortung dafür tragen andere.

Wir werden jedenfalls nicht aufgeben. Wir werden in vielen Gesprächen immer und immer wieder auf die enorme Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit hinweisen. Wir werden politisch Verantwortliche daran erinnern, dass innere sowie äußere Sicherheit zum Kern staatlichen Handelns gehören und dass es wieder mehr glaubhafte Sicherheitsvorsorge braucht! Für unser Land, für die Zukunft unserer Kinder und für unsere Kameradinnen und Kameraden, welche bereits heute unter schwierigsten Bedingungen ihren Mann oder ihre Frau im Einsatz stehen müssen! Wir geben nicht auf!