Farbenlehre beim MAD - Vorgehen bei Extremismus wird ausgebaut
Rechte «Netzwerke» und der Verdacht auf einen «tiefen Staat». Die deutschen Sicherheitsbehörden sind im vergangenen Jahr mehrfach in Erklärungsnot gekommen. Der Militärische Abschirmdienst zieht Konsequenzen - und bedient sich der Ampel.
Köln/Berlin - Wenn der Militärische Abschirmdienst (MAD) kommt, kann es für Soldaten ungemütlich werden. «Mit dem MAD ist es wie mit dem Zahnarzt: Man muss ab und zu hin, aber eine Freude ist es nicht, vor allem, wenn er bohren muss», sagt MAD-Präsident Christof Gramm der Deutschen Presse-Agentur. Ein Funken Humor blitzt auf in einer Arbeitswelt, die von Geheimhaltung bestimmt ist und einem gesetzlichen Regelwerk, das den Umgang mit Extremisten im Behördendienst regeln.
Beim Thema Extremismus ist die Bundeswehr unter Druck geraten, obwohl nach Erkenntnissen des MAD nur zwei Promille der Soldaten und zivilen Mitarbeiter verdächtigt werden. Unter 250.000 Männern und Frauen gibt es aktuell rund 500 sogenannte Verdachtsfälle in Bearbeitung, zwei Menschen unter Tausend. Als erkannte Extremisten eingestuft wurden im vergangenen Jahr vier Rechtsradikale und drei Islamisten.
Aber es gibt auch eine Grauzone, und die will die Bundeswehr nun schneller ausleuchten. Der MAD werde künftig auch weniger klar belegbare Fälle an das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr melden und zudem zentral nachverfolgen, um dem Verteidigungsministerium zu berichten, wie Gramm deutlich macht.
Die Meldepraxis gilt dann auch für Soldaten und Zivilbeschäftigte, bei denen zwar fehlende Verfassungstreue festgestellt wurde, die sich aber nicht juristisch belastbar als Extremisten einstufen lassen. Der MAD ordnet dieser Kategorie - intern nach der Ampel-Farbenlehre nun als orange bezeichnet - jährlich etwa 50 Menschen zu.
Rot sind erkannte Extremisten, denen aktive Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung - teils auch mit Gewalt - nachgewiesen werden. Paragraf 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes nennt dazu ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen, die sich gegen demokratische Freiheiten und Rechte, die Unabhängigkeit der Justiz oder gegen die im Grundgesetz formulierten Menschenrechte richten.
«Wenn wir Leute in rot einstufen, dann muss das gerichtsfest sein», sagt Gramm. «Die Entlassung aus der Bundeswehr sagt sich leichter, als es getan ist. Auch da gibt es Rechtsgrundlagen. Aber: «Dunkelorange und rot müssen aus der Bundeswehr raus. Die Frage ist auf welchem Weg.»
In Vorbereitung ist eine Änderung des Soldatengesetzes. Nach Paragraf 55 ist die fristlose Entlassung eines Soldaten in den ersten vier Jahren möglich, «wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde». Dieser Zeitraum soll auf acht Jahre verlängert werden.
Köln, Konrad-Adenauer-Kaserne: Wer die im Süden der Stadt an einer breiten Ausfallstraße gelegene MAD-Zentrale besuchen will, geht durch verschärfte Zugangskontrollen. Insgesamt mehr als 1000 Mitarbeiter hat der MAD, verteilt auch auf acht Dienststellen in ganz Deutschland.
Zu den Aufgaben gehört die Abwehr von Spionage und Sabotage im Militär sowie die Überprüfung auf extremistische Einstellungen und Aktivitäten. Dieser Teil macht etwa 25 Prozent der Arbeit aus. Der MAD berichtet an die zuständigen Stellen und ist nicht selber für Entlassungen zuständig. Hinweise werden mit offenen Quellen oder auch den «nachrichtendienstlichen Mitteln» überprüft: Observation, Abhörmaßnahmen oder von Mitarbeitern, die unter Legende arbeiten.
Jüngst wurde erstmals ein sogenannter Reichsbürger als Extremist eingestuft und suspendiert. Diese Szene, deren Anhänger die Bundesrepublik nicht als Staat anerkennen, ist ein vergleichsweise neues Phänomen.
Salafisten, die einer radikalen Richtung des Islam anhängen, seien oft Konvertiten. «Wann schlägt Frömmigkeit um in fehlende Verfassungstreue? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Wenn jemand sagt, er dürfe Frauen schlagen und unterlasse es nur, weil es verboten sei, ist die Grenze überschritten», sagt Gramm.
Beim Ausländerextremismus - hier wird Deutschland von extremistischen Gruppen wie der PKK als Rückzugsraum genutzt - gab es im vergangenen Jahr 35 neue Verdachtsfälle (2017: 22). Deutschen Linksextremisten war dagegen mit nur noch zwei Verdachtsfällen praktisch nichts vorzuwerfen, was auch am Wesen des Militärs liegen mag.
Einen Verdacht auf Rechtsextremismus gibt es aktuell in 450 Fällen. Allerdings ist die Erkennung schwieriger geworden. «Wenn jemand zuhause ein Hitler-Bild hängen hat und rechte Musik hört, verstößt er gegen die Pflicht zur Verfassungstreue», sagt Gramm. Skinheads seien noch leicht zu identifizieren gewesen. Aber: «Jetzt haben wir es mit einer neuen intellektuellen Rechten zu tun. Das ist ein substanzieller Unterschied.»
Die Zeiten der festen Gewissheiten seien vorüber. «Teilweise weht auch der Zeitgeist von rechts. Da wird es für uns viel schwerer, die Grenzen genau zu vermessen», sagt der MAD-Präsident. «Das Problem sind nicht die Dummen, das Problem sind die Schlauen.» Der MAD sei «keine Zertifizierungsstelle für gute oder schlechte Meinungen».
Schlechte Schlagzeilen machte mehrfach die Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK): im Mittelpunkt zwei Offiziere mit Dienstgrad Oberstleutnant. Für eine deutlich aus dem Ruder gelaufene Geburtsfeier mit Hitler-Gruß und Schweinekopf-Werfen wurde inzwischen ein Strafbefehl akzeptiert.
Gegen einen zweiten KSK-Oberstleutnant wird wegen rechtsextremer Propaganda mit Reichsbürger-Bezug ermittelt. Der Mann war vor mehr als zehn Jahren schon aufgefallen, weil er eine Art Hassbrief gegen ein Mitglied des Darmstädter Signals geschrieben hat, ein Forum kritischer Soldaten. Pikant nun: Bei den neuen Vorwürfen geht es um eine Facebookgruppe mit Bezug auf Ernst von Salomon, Mitglied der terroristischen «Organisation Consul» in der Weimarer Republik, der allerdings in der jungen Bundesrepublik als Schriftsteller sehr bekannt war («Der Fragebogen»).
Der MAD beobachtet, dass es beim KSK eine Häufung von Verdachtsfällen gibt, jedoch keinen Personenzusammenschluss, der Bestrebungen gegen die Verfassungswerte unterstützt. Verschwörungstheorien seien aber schwer zu entkräften, meint Gramm. «Wer das gefestigte Weltbild hat, dass die Sicherheitskräfte verseucht sind, der wird immer viele Belege für diese These sehen.»